Die amerikanischen Verbände näherten sich Ende März dem Vordertaunus sternförmig von Süden, Norden und Westen. Unter dem Titel „80 Jahre Kriegsende: Neuanfang, Aufarbeitung und Wiedergutmachung“ gab Stadtarchivarin Monika Rohde-Reith bei ihrem Osterspaziergang einen Einblick in die dramatischen Ereignisse dieser Tage in Eppstein. Wir haben Berichte, zum Teil von Augenzeugen, aus den fünf Stadtteilen zusammengestellt.
Wenige Wochen vor dem offiziellen Kriegsende lagen die fünf Orte wegen des Rückzugs der regulären deutschen Truppen mitten im Frontgebiet. Aus allen Richtungen trafen damals Truppen der Amerikaner ein. Zuerst wurden sie anscheinend in Niederjosbach gesichtet: Am 28. März rückte die US-Armee von Limburg aus über Niedernhausen nach Oberjosbach vor und zwei oder drei Tage später weiter Richtung Ehlhalten. „Niederjosbach ließen sie einfach liegen“, schreibt der Ortschronist und 97-jährige Zeitzeuge Hans Jungels in seinem 2020 überarbeiteten Buch „400 Jahre Niederjosbacher Geschichte“.
Noch wenige Tage zuvor, an Palmsonntag, 25. März, traf der Räumungsbefehl der Gauleitung ein: Die Niederjosbacher sollten ihre Höfe verlassen, denn der Ort wurde zum Kampfgebiet erklärt. Nur der Ortsgruppenleiter und der SA-Oberscharführer folgten laut Jungels dem Befehl. Alle anderen blieben, schon wegen des Viehs, das versorgt werden musste, und räumten an Ostern die kurz zuvor errichtete Panzersperre in der Bezirksstraße weg.
Der damals 14-jährige Bernhard Dörr erlebte die Fliegerangriffe der letzten Kriegsmonate in der Region schon sehr bewusst. Fast unwirklich sei ihm deshalb das Kriegsende in Niederjosbach erschienen, schreibt der gebürtige Niederjosbacher in seinen Erinnerungen, über die die Eppsteiner Zeitung schon 2008 berichtete. Die Familie hatte vorsorglich alles Vieh geschlachtet und zu Wurst verarbeitet, Vorräte unter der Treppe und in einem Kellerloch verborgen und das gute Geschirr im Boden unter den Kohlen vergraben – Und dann war alles ganz einfach: „Es kamen keine Truppen vorbei, keine Front, keine Flüchtlinge“, schreibt Dörr über das Kriegsende. Am Ostermontag, 2. April, kamen die Amerikaner dann tatsächlich in den Ort und riefen alle Einwohner auf dem Zimmerplatz zusammen und suchten die Häuser nach deutschen Soldaten, Waffen und Kriegsgerät ab. Auch Ferngläser und Fotoapparate mussten abgegeben werden.
Schon wenige Wochen später setzten die Amerikaner neue Bürgermeister ein. Dazu wurden Menschen ausgewählt, die in Opposition zu den Nationalsozialisten gestanden hatten. Viele waren Sozialdemokraten, aus konservativ christlichem Lager oder Amtsinhaber, die bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten entlassen worden waren. So wurde auch in Niederjosbach Josef Zimmermann, Bürgermeister bis 1933, kommissarisch wieder in sein Amt eingesetzt.
„Die Menschen begannen mit der Beseitigung der Trümmer und nahmen wieder ihre Arbeit auf“, schreibt Jungels. So heißt es in seiner Chronik, dass die Eisenbahner unaufgefordert mit dem Fahrrad ins Eisenbahn-Ausbesserungswerk nach Frankfurt-Nied zur Arbeit fuhren. Sie prüften Gleise, Weichen und Signale, so dass laut Jungels Anfang Mai, also noch vor der Kapitulation, wieder die erste Lokomotive von Nied nach Niedernhausen fuhr.
In Eppstein trafen die amerikanischen Truppen am Gründonnerstag, 29. März, ein.
Zuvor hatten die in Eppstein einquartierten deutschen Soldaten Maschinengewehrstellungen gebaut und Panzersperren an den Ortseingängen errichtet. Noch am Montag vor Ostern forderte der stellvertretende Bürgermeister die Menschen dazu auf, Eppstein zu verlassen und nach Schmitten zu gehen, schreibt der frühere Eppsteiner Stadtarchivar Bertold Picard in seinem Nachwort für Emmy Meixner-Wülkers (1927-2008) Buch „Zwiespalt“ mit Erinnerungen an ihre Jugend in Eppstein „zwischen NS-Erziehung und -Verfolgung“ und an ihren Vater, den Regime-Kritiker Paul Schiemann.
Die wenigen, die dem Aufruf zur Evakuierung folgten, kehrten schon kurz darauf wieder zurück. Die Soldaten, die in Eppstein die Stellung halten sollten, ergriffen die Flucht. Einige beherzte Eppsteiner überzeugten die übrig gebliebenen Verteidiger davon, die Panzersperren zu beseitigen, so dass die amerikanischen Truppen bei ihrem Einzug am 29. März gegen 15 Uhr kein Hindernis vorfanden.
Ähnlich verlief der Machtwechsel in Vockenhausen: Auch dort hatte die noch nicht lange aufgestellte Volkssturmkompanie, ein Aufgebot von viel zu jungen und viel zu alten Verteidigern, eine Panzersperre Richtung Ehlhalten aufgestellt. Der Vockenhäuser Jakob Menke (1936-2014) schreibt in seinen Erinnerungen, über die wir 2010 und 2014 berichtet haben, dass viele Familien sich auf eine Flucht vorbereitet hatten. Auch bei ihm zu Hause hatten „alle schon das Wichtigste zusammengepackt“.
Das Fluchtgefährt, so der damals neunjährige Jakob Menke, war ein kleiner, zweirädriger gummibereifter Wagen. „Porzellan und alles, was uns wichtig erschien, hatten wir im Garten in einer Kiste vergraben.“ Alle warteten auf den Abmarschbefehl. Doch keiner wusste, wo es hingehen sollte. Nachdem sich der NS-Ortsgruppenleiter abgesetzt hatte, ließ der Volkssturmführer die Arbeit an der Panzersperre einstellen.
Entgegen der offiziellen Darstellung kamen laut Menke die ersten Panzer aus Ehlhaltener Richtung und gaben an der Brücke Warnschüsse ab, bevor sie in den Ort einfuhren. Vor dem ehemaligen Gasthaus „Nassauer Hof“ blieben sie stehen, „mit GI’s obenauf, die Gewehre im Anschlag hatten“. Widerstand gab es keinen. Erst am Tag danach, so Menke, seien weitere Amerikaner aus südlicher Richtung, an der Schmelzmühle vorbei, nach Vockenhausen gefahren. Ein offizielles Datum für die Einnahme Vockenhausens gibt es nicht.
Auch in Bremthal wurden bis in die letzten Wochen des Kriegs, als die Front näher rückte, Jungen ab 15 und die letzten verbliebenen Männer zum Volkssturm einberufen. Den Bau von Panzersperren brachen sie ab, weil alle Einwohner auf Anweisung des Gauleiters am Palmsonntag, 25. März, das Dorf verlassen sollten. Die zwei Familien, die dem Aufruf folgten, waren nach zwei Tagen wieder zurück.
Der Bremthaler Heinz Geis, geboren 1936, schreibt in seinen „Erinnerungen an meine Kindheit und Jugend“ über seine frühesten Kindheitserinnerungen mitten im Krieg. So war sein für kriegsuntauglich erklärter Vater für den Kriegsdienst an der sogenannten Heimatfront einberufen worden und musste zusammen mit anderen die Flakstellung bei Bremthal halten. Kurz bevor die Amerikaner eintrafen, ließen die Flakhelfer alles stehen und liegen und kehrten zu ihren Häusern zurück. In der Bremthaler Ortsgeschichte von 2004 ist nachzulesen, dass die Amerikaner dort am Ostersonntag, 1. April, mit Panzern und Artillerie einrückten.
Die Bremthaler Schule für die insgesamt 130 Kinder blieb schon ab Mitte März 1945 geschlossen. Unter Leitung von „politisch unbelasteten Lehrern“, so die Chronik, wurden in den folgenden Monaten Arbeiten in der Gemeinde verrichtet, denn der Lehrer, ein überzeugter Nationalsozialist, war inhaftiert worden. So wurden der Friedhof gereinigt, Splittergräben und Bombentrichter eingeebnet, Feldwege mit dem Schutt aus Trümmern ausgebessert. Die amerikanischen Soldaten, schreibt Heinz Geis, brachten zumindest für die Kinder „Chocolate“ mit und für Papa „Cigarettes“. Erst im September fand wieder Unterricht statt.
Nach der Kapitulation wurden am 13. Mai 1945 gut 200 Soldaten in Eppstein einquartiert. Hauptquartier war im ehemaligen Hotel Bienberg. Etliche Häuser wurden für die Infanterie-Kompanie geräumt, darunter auch das Elternhaus von Gertrud Löns, die Villa Froelich in der heutigen Mendelssohnstraße 17. Jahrzehnte später entdeckte Stadtarchivarin Monika Rohde-Reith Fotos des in Eppstein stationierten amerikanischen Soldaten Edwin Steeb aus dieser Zeit.
Wie in der Ehlhaltener Chronik nachzulesen ist, rückten die Amerikaner aus Heftrich, also aus nördlicher Richtung nach Ehlhalten ein. Dabei erschossen die Amerikaner im Nonnenwald anscheinend noch zwei flüchtende Soldaten. Wie in der Chronik „775 Jahre Ehlhalten“ von 2008 weiter zu lesen ist, rückten aus Schloßborn am Dienstag, 27. März, die letzten deutschen Soldaten in Richtung Wetterau ab. Eine SS-Einheit soll an der Alteburg bei Heftrich Widerstand gegen die vorrückenden Amerikaner geleistet haben. Vergeblich: Kröftel wurde am 29. März, Schloßborn am 30. März und Eppenhain am 31. März besetzt. Am Ostermontag, 2. April, nahmen die Amerikaner Ehlhalten ein – „Während der heiligen Messe, die dadurch um eine halbe Stunde verzögert wurde“, heißt es in der Ehlhaltener Chronik.
Auf dem Platz vor dem damaligen Gasthaus Zur Krone an der Kreuzung Langstraße/Gräfliche Straße hatten sich alle Einwohner einzufinden. Der amtierende Bürgermeister Anton Seebold rief zur Besonnenheit auf, während die Besatzer die Häuser durchkämmten. An Fronleichnam im Juni 1945 fand in Ehlhalten schon ein Dankfest zum Ende des Krieges statt.
Während des Ersten Weltkriegs starben Millionen Soldaten auf den Schlachtfeldern. Im Zweiten Weltkrieg starben außerdem Millionen Menschen in der Heimat, wurden in Lagern ermordet oder verfolgt und vertrieben – aus rassistischen Gründen oder wegen ihrer politischen Gesinnung.
SS-Reichsführer Heinrich Himmler sorgte durch seine Befehle sogar noch in der Endphase des Krieges dafür, dass Menschen, die kritische Äußerungen zum Kriegsausgang machten oder die weiße Fahne hissen wollten, inhaftiert oder sogar standrechtlich erschossen wurden. In Eppstein wurde der NS-Gegner Paul Schiemann ein Opfer solcher Verleumdung. Er wurde im Januar 1945 inhaftiert und deportiert und starb am 18. Mai auf dem Transport entkräftet an Typhus.
Von Himmler stammt auch der Befehl zu Massenhinrichtungen und Todesmärschen von Gefangenen. So kamen wohl noch in der Karwoche 3000 Häftlinge auf ihrem Weg Richtung Osten durch Bremthal. Ein totes Kind wurde dort begraben. Ein paar Tage später entdeckten die Bremthaler ein weiteres Kindergrab im Wald.
Abgesehen von den Millionen zivilen Opfern aus der Zeit des Nationalsozialismus, beklagten auch in Eppstein viele Familien den Tod von Männern, Söhnen oder Vätern, die als Soldaten starben: 52 Männer kamen nach dem Krieg nicht mehr nach Vockenhausen, 23 nicht mehr nach Ehlhalten zurück. Für Niederjosbach gibt Hans Jungels 45 Namen von gefallenen oder vermissten Soldaten an, auch von Heimatvertriebenen, deren Familien nach dem Krieg in Niederjosbach sesshaft wurden. 49 Soldaten aus Bremthal kamen nicht wieder heim, 106 waren es in Eppstein. bpa
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