50er-Jahre Aufbruchstimmung

Bürgermeister Maul (Volker Steuernagel)
            Foto: Julia Palmert

Bürgermeister Maul (Volker Steuernagel)

Foto: Julia Palmert

Pünktlich um 14 Uhr startete Monika Rohde-Reith am Sonntag den jährlichen Herbstspaziergang des Burgmuseums am Stadtbahnhof. Die Museumsleiterin freute sich über 90 Anmeldungen – so viele wie noch nie.

Sie reiste mit dem Publikum zurück in das Jahr 1950, das geschichtlich den Beginn des Wirtschaftswunders einläutete. Damals war Fritz Maul amtierender Bürgermeister in Eppstein.

Einige schmunzelten, als Rohde-Reith vorlas, dass es damals in Eppstein 41 Geschäfte gab und sie etliche Restaurants namentlich aufzählte. Die Themen Wohnungsnot, Vertriebene und Flüchtlinge wurden spielerisch in einer ersten Szene von den Eppsteiner Burgschauspielern am Bahnhof umgesetzt.

In dieser kam auch die Sprache auf die Amor-Post aus Regensburg, ein Briefdienst für Kriegsheimkehrer, die ehemaligen Soldaten ohne Heimat Kontakte zu „jungen Mädchen und Witwen“ vermittelte. Eine Anzeige dieser „Heimkehrerbetreuung“ hatte die Museumsleiterin auch dabei und ließ sie später im Publikum zur Ansicht herum gehen. Eppstein zählte damals 2085 Einwohner, darunter 353 Heimatvertriebene. Niederjosbach 951 Einwohner, davon 177 Vertriebene, ähnlich waren die Verhältnisse in Bremthal und Ehlhalten.

Der nächste Stopp wurde bei Kai Wolfs Kunstwerk, einer Hommage an Ella Bergmann-Michel und Robert Michel, eingelegt. Die beiden Künstler hatten während des Kriegs Berufsverbot.

Von Kino, Wohnungsnot und den wiedererlangten Stadtrechten

Danach ging es weiter zum Kriegerdenkmal in der Burgstraße, wo die Burgschauspieler mit der nächsten historische Szene auf die Spaziergänger warteten. Sie sprachen als Betroffene über die Wiedergutmachungsrenten der Kriegswitwen und die damit verbundene Formularschwemme.

Fast fühlten sich die Spaziergänger mit aktuellen Problemen konfrontiert, als am Wernerplatz das Verkehrschaos der Nachkriegszeit thematisiert wurde. Damals, so Rohde-Reith, kaufte sich nahezu jeder ein Auto. Sehr zur Freude der Spaziergänger schlängelten sich passend dazu auch wirklich einige Autos am Wernerplatz an der Gruppe vorbei in Richtung Rossertstraße und hauchten der Szene so noch mehr Leben ein. Auch dazu führte die Museumsleiterin einen alten Zeitungsbericht an.

Am Gottfriedplatz trafen die Besucher persönlich auf Bürgermeister Maul, gespielt von Volker Steuernagel, der aus einer dicken Akte vorlas und dem Publikum sein Leid klagte: Seine ganze Zeit müsse er aufbringen, um Wohnungseinquartierungen und die Probleme einer gewissen Hilde Kraut (fiktiver Name) zu klären. Eindrucksvoll bezog Steuernagel den kompletten Platz mit ein und befragte auch Besucher. Er gab an, viel wichtigere Dinge zu tun zu haben, etwa der Wohnungsnot entgegenzuwirken oder der Wassernot.

Weiter ging es zu einer Spielszene der Burgschauspieler in der Hintergasse. Dort wurden die amerikanischen Filme und ihre Helden Carry Grant und Kirk Douglas beleuchtet und das Thema Kino. Caren Lewinsky rundete die Szene mit Gesang ab, einem selbst komponierten Lied „Rock’n’ Roll in Eppstein“ auf der Ukulele.

Gut gelaunt machten sich die Besucher an den Aufstieg zur Burg Eppstein. „Bürgermeister Maul“ erwartete sie dort bereits wieder und machte auf die maroden Mauern und den Bergfried aufmerksam, die unbedingt Gelder für eine Sanierung benötigen würden. Dabei schlüpfte das Publikum unfreiwillig in die Rolle des Magistrats sowie der Gemeindevertreter, was zur Erheiterung beitrug. Schließlich kam man überein, 1950 die ersten Burgfestspiele nach dem Krieg zu veranstalten, um so Gelder für die Sanierung zu sammeln. Auch verriet Maul dem Publikum, dass er versuche, Eppstein seine alten Stadtrechte von 1318 wieder zu besorgen – was ihm 1950 endlich gelang.

Um dies zu feiern, begab sich Burgschauspieler Benjamin Peschke auf die Bühne und feuerte mit seiner Muskete einige Salutschüsse ab. Monika Rohde-Reith dankte dem Publikum auch im Namen der Burgschauspieler und lud zum Ausklang in die Juchhe ein.

Gern folgten ihr viele Spaziergänger, denn der frische Herbstwind hatte während der eineinhalbstündigen Führung ordentlich geweht. Sie versorgten sich am Tresen mit Getränken und kleinen Brezeln. Zum gelungenen Abschluss des Herbstspaziergangs besang dort Lewinsky passend in ihrem Lied „Petticoat-Staubwedel“ die Rolle der Frau in den 1950er Jahren. sr

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