Die Aussicht, vom Ledergewerbe Vockenhausens im Wandel der Jahrhunderte zu erfahren, lockte bei bestem Sommerwetter etliche Besucher auf die Burg. Klares Mineralwasser und duftender Weißwein erfrischten die Gesellschaft – eine Wasserqualität und ein Bouquet, die dem Wesen der Gerberei in der Vergangenheit nicht annähernd entsprachen. Denn aufgrund von Geruchsbelästigung und Flussverunreinigung, die die Arbeit mit Tierhäuten verursachte, waren Gerber im Mittelalter vielerorts dazu verpflichtet, sich weitläufig entfernt der Städte an Flussläufen anzusiedeln. Beim Bearbeitungsprozess der aus Eichenbestandteilen hergestellten Lohe, wobei es sich um zerkleinerte Rinde von jungen Eichen und Fichten handelt, färbt sich das Leder in Rot- und Brauntöne. Weswegen die Lohgerber auch Rotgerber genannt wurden. Beim Auswaschen der Leder schwemmte in vergangenen Zeiten Arsenik, Alaun, Kalk und Salz in die Flüsse. Gefolgt von Fleischresten und Tierhaaren, eine alltägliche Umweltkatastrophe, die Schuhmacher und Meistersinger Hans Sachs lapidar besang: „Die Häut’, die häng’ in den Bach…“.
Ehe Kavaliere ihre Ehrenküsse auf exquisite Damenlederhandschuhe hauchen konnten, stand folglich ein langes, schweißtreibendes und geruchsintensives Herstellungsverfahren auf dem Programm.
Im Stadtteil Vockenhausen steht der Dattenbach, auch Goldbach genannt, für eine traditionsreiche Geschichte als Lebensader der Lederverarbeitung. Das Gewässer selbst wurde Opfer giftiger Substanzen von Gerbereien und Farbmühlen und schimmerte, je nach Produktion, in allen möglichen Farben. Das brachte den Goldbach zwangsläufig an den Rand seines goldenen Images.
„Wir haben Zeitzeugen und haben Bilder“, versprach Museumsleiterin Monika Rohde-Reith bei ihrer Begrüßung den zahlreich erschienenen Besucherinnen und Besuchern. Die Darbietung der „Rotgerbertochter“ startete und endete in der Kemenate mit einem Kurzfilm. Mittels Besenstange aktivierte Monika Rohde-Reith den Beamer und damit eine filmische Reise zu den Ursprüngen der Gerberei in Vockenhausen. Über das Handwerk und dessen Stellenwert führte sie ein Interview mit dem Zeitzeugen Fritz Steingötter.
Über die große Liebe der Gerbertochter
Mit Ehrfurcht sprach Steingötter, der Sohn eines Vockenhäuser Lederfabrikanten, über den Berufsstand des Gerbers. Nach der Filmvorführung wurde die Ausstellung in der Sakristei eröffnet. Dort informieren bis Anfang Oktober verschiedene Schautafeln über die Lederfabrik Zimmermann & Kramer und die Nachfahren der Gründerfamilien. Als Hingucker dominiert das originale Geschäftsfahrrad von Zimmermann & Kramer den Ausstellungsraum. Thematisch aufgearbeitet finden sich ebenso viele Hintergrundinformationen und Fotos zu den Lederwerken Taunus.
Wie aus Lohmühlen Fabriken wurden, zeigt das Beispiel vom Idsteiner Weißgerber Karl Christoph Michel, der dem Rotgerber Adam Racke im 18. Jahrhundert die Lohmühle abkaufte und Vockenhausen zu einem wichtigen Wirtschaftsstandort machte.
Hätte sich Rackes Tochter nicht in einen napoleonischen Soldaten verliebt, wäre die Vockenhäuser Gerbergeschichte um ein menschliches Schicksal ärmer und auch der Ausstellungstitel wäre ganz anders. Vom Leben und der Liebe der Rotgerbertochter erfahren die Ausstellungsbesucher. Aber auch für Hände und Fingerspitzen hält die Ausstellung Überraschendes bereit. Verschiedene Leder von Ziege, Rind oder Schaf laden zum Betasten und Entdecken der unterschiedlichen Oberflächenstrukturen ein.
Die Schautafeln schlagen den Bogen vom Mittelalter in die Gegenwart. Rohde-Reith schildert, wie die Lederindustrie im 18. Jahrhundert die Eisengewinnung und -verarbeitung ablöste. Rund 70 Lederfabriken gab es einst zwischen Frankfurt und Limburg. 1992 schloss die letzte Lederfabrik in Vockenhausen mit fast 50 Mitarbeitern.
Auf einer Schautafel beschäftigt sich Rohde-Reith mit dem Gedanken, was wäre, wenn die Mühlen am Schwarzbach noch bestünden und, ob sie statt Farbstoffen und Leder Strom erzeugen könnten. Sie weist auf den durch den Klimawandel erzeugten Wassermangel hin, der keine ausreichend tiefen Mühlgräben garantieren könne.
An einer anderen Stelle blickt der Betrachter in die ernsten Gesichter der Belegschaft des Lederwerkes Eppstein von 1949, in dessen Annalen es gleichfalls Einblicke gibt.
Nicht nur die Vergangenheit der Lederindustrie wird gestalterisch beleuchtet, auch deren Zukunft. Als Vertreter für das Morgen fungiert das aus Vockenhausen stammende Traditionsunternehmen Heim Leather Chem GmbH mit Firmensitz im Bremthaler Valterweg.
Die Ausstellung ist noch bis zum 3. Oktober zu sehen. Der Eintritt in die Burg und ins Museum kostet Erwachsene 4 und Kinder 1,50 Euro. Geöffnet sind Burg und Museum samstags von 14 bis 17 Uhr, sonntags und feiertags von 11 bis 17 Uhr und mittwochs von 16 bis 18 Uhr. Informationen können per E-Mail an monika.rohde-reith[at]eppstein[dot]de eingeholt werden. uki
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