… während bei den Burgfestspielen im neuen Stück der Burgschauspieler, „Arsen und Spitzenhäubchen“, für den Theaterkritiker Mortimer Brewster eine Welt zusammenbricht: Eine Leiche in der Truhe am Fenster seiner beiden liebenswerten Tanten, Abby und Martha, ist schon alarmierend genug. Sofort hat er seinen verwirrten und etwas absonderlichen Bruder Teddy als Täter im Sinn.
Als dann seine beiden Tanten, gespielt von Gabriele Wittich und Linda Kratz, ihm mit sanftem Lächeln in aller Seelenruhe erklären, dass tote Männer in ihrem Haus überhaupt nichts Sonderbares seien und wie sie die einsamen Seelen mit Holunderwein und „e bissje Gift“ dem Himmel näher bringen, fragt Mortimer schier verzweifelt: „Was sollen wir denn mit der Leiche machen!“
Die Tanten erklären ihm vergnügt, dass sein Bruder Teddy, der sich für Präsident Roosevelt hält und gelegentlich im Keller neue Schleusen für den Panamakanal gräbt, schon bei der Arbeit sei. „Jetzt wird das Dutzend voll“, freut sich Tante Abby. Und Martha betont, dass dort nur „brave Methodisten“ liegen und man jeden Sonntag Blumensträuße auf die Gräber lege.
Mortimer, in seiner Hilflosigkeit herrlich komisch gespielt von Dirk Büttner, traut seinen Ohren nicht, sagt Hals über Kopf seinen Auftrag für eine Theaterkritik ab: „Frau Palmert, Frau Palmert“, ruft er ins Telefon und echauffiert sich, als er seine Chefin von der Eppsteiner Zeitung ein ums andere Mal nicht erreicht…
…mal legt sie auf, dann ist sie auf Kaffeefahrt – ein Running Gag, den die Burgschauspieler sich ausgedacht haben, ebenso wie die anderen Anspielungen auf Eppstein.
Bei „Arsen und Spitzenhäubchen“ tun sich Abgründe in Eppstein auf
Eigentlich wollte Mortimer mit seiner Verlobten Elaine ins Theater, doch angesichts der neuen Dimension seiner verwandtschaftlichen Beziehungen ist er sich plötzlich gar nicht mehr so sicher, ob er eine Familie gründen sollte…
Und dann taucht auch noch sein Bruder Jonathan Brewster auf, das schwarze Schaf der Familie und ein gesuchter Massenmörder. Wie sich herausstellt ist der Psychopath aus einer geschlossenen Anstalt geflohen und seit Jahren auf der Flucht. Hilfe hatte er dabei von seinem verrückten Freund Dr. Einstein, dem allerdings bei Jonathans letzter Gesichtsumwandlung ein wenig das Messer ausgerutscht ist: Benjamin Peschke geht in seiner Rolle als mörderisches Narbengesicht auf und macht aus dem Bösewicht mit zuckenden Händen, rollenden Augen oder zusammengekniffenen Lippen fast schon eine Parodie des Bösen.
Mit schwarzem Humor deckt die Us-amerikanische Kriminalgroteske die Abgründe der braven Bürgersfrauen auf und versprüht dennoch Witz und Charme. Bis heute ist das 1941 erstmals am Broadway aufgeführte Stück von Joseph Kesselring ein Evergreen auf amerikanischen und europäischen Bühnen, die weltberühmte Verfilmung von Frank Capra mit Cary Grant als Mortimer ein Filmklassiker.
Gabriele Wittich spielt die lebhafte Abby, die vor lauter Energie immer mit einem Hopser aufspringt, wunderbar quirlig, Linda Kratz mimt die herzensgute Martha mit seelenvollem Augenaufschlag und sanftem Lächeln.
Dirk Büttner geht als Mortimer durch ein Wechselbad der Gefühle. Mal stürmt er über die Bühne, mal spielt er den strengen, dann wieder den verständnisvollen Neffen, trotzt seinem Bruder Jonathan und setzt alles daran, seine Tanten vor der Polizei – und vor sich selbst – zu retten und wird dabei fast selbst zum Opfer seines ehrgeizigen Bruders Jonathan. Der wird nämlich ganz unruhig, als er hört, dass seine Tanten mehr Leichen im Keller haben als auf seiner Liste stehen. Verlobte Elaine, gespielt von Judith Graf, weiß gar nicht wie ihr geschieht als Mortimer sie energisch wegschickt. Im weißen Sommerkleid mit Zitronenaufdruck wirkt sie wie ein frischer Wind in dem morbiden Familiengeflecht.
Robin Sommer stürmt als Teddy in gelegentlichen Übersprungshandlungen Trompete blasend und laut „Attacke“ rufend von der Bühne und überzeugt ansonsten mit seiner stoischen Haltung und präsidentialen Würde.
Die beiden jungen Officers Klein (Jasmin Spielmann) und Brophy (Johanna Kerth) gehen geduldig auf den Spleen des „Präsidenten“ ein. Sie finden, es hätte für Teddy „schlimmer kommen können“ und halten die Damen Brewster für „vollkommen gute und hilfsbereite Menschen“. Sie wundern sich, warum die beiden im Register für Zimmervermieter stehen, obwohl doch niemand bei ihnen zur Untermiete wohne, ziehen aber keine Schlüsse daraus.
Officer O’Hara, gespielt von Nicola Sasse, verliert vor lauter Schreib- und Theaterlust den Blick für die Realität. Knut Vollmuth passt als Zimmer suchender allein stehender Junggeselle Mr. Gibbs ins Beuteschema von Abby und Martha, die ihm mit Vergnügen ihren ganz besonderen Holunderwein kredenzen. Vollmuth ist Burgschauspieler der ersten Stunde, also schon seit 1968. Er echauffiert sich ein wenig doppeldeutig über Mortimer: „Der Wahnsinnige! Der will Bürgermeister von Liederbach werden, das geht ja gar nicht“, spielt er auf Büttners Bürgermeisterkandidatur in Liederbach an, als dieser seine Tanten energisch zurechtweist.
Neuzugang auf der Bühne ist Ulrike Vergin als Dr. Harper, Elaines Mutter. Ein Wiedersehen gibt es mit Nicole Decher, die mit raumgreifenden Schritten Captain Rooney vom „Police Department Eppstein“ darstellt. Sie kommt wegen Teddys Ruhestörung und entdeckt dabei Mortimers gesuchten, mörderischem Bruder Jonathan.
Die Burgschauspieler haben den Klassiker neu in Szene gesetzt, mit Lokalkolorit und gutem Gespür fürs Tempo auf die Bühne gebracht. Juliane Rödl führt Regie, unterstützt von Souffleur Toni Jäckel, der am Samstag nach der Premiere in der Juchhe in seinen Geburtstag hineinfeierte.
Die Szenen sind flott gespielt, ein Wort gibt das andere, dennoch wird der Zuschauer nicht durch die Handlung gehetzt und hat Zeit, die Feinheiten des Bühnenbilds zu entdecken – zum Beispiel das Maskottchen der Burgschauspieler, den Porzellan-Papagei oder das knappe Dutzend Herrenhüte an der Bühnenkante.
Am kommenden Wochenende, 5. und 6. Juli, zeigen die Burgschauspieler das Stück noch einmal, jeweils um 19.30 Uhr. bpa
Die Darsteller und ihr Team
Die Rollen verkörpern: Dirk Büttner (Mortimer Brewster), Gabi Wittich (Abby Brewster), Linda Kratz (Martha Brewster), Robert Sommer (Teddy Brewster) Benjamin V. Peschke (Jonathan Brewster), Richard El-Duweik (Dr. Einstein), Judith Graf (Elaine Harper), Ulrike Vergin (Dr. Harper), Jasmin Spielmann (Officer Klein), Johanna Kerth (Officer Brophy), Knut Vollmuth (Mr. Gibbs), Nicole Decher (Captain Rooney), Nicola Sasse (Officer O’Hara), J. O. Séph (Mr. Witherspoon).
Regie: Juliane Rödl, Co-Regie und Souffleur: Toni Jäckel. Maske: Sandra Klemm und Heidi, Kostüme: Helga Terzka, Technik: Tim Reinhard, Lucas Kratz, Catering: Bianca Tatzelt.
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