Jetzt hat er uns einen Brief geschrieben über sein erstes Jahr in der Fremde. Übersetzt hat ihn Tochter Alla Serhijeva mit Hilfe eines Internetprogramms.
In der Ukraine herrschte seit Oktober 2014 ein Krieg niedriger Intensität. Im Februar 2022 trat dieser Krieg in eine aggressive Phase ein. Russland begann, ohne Kriegserklärung die größten Städte und Dörfer der Ukraine zu zerstören. Die russische Armee und ihre Verbündeten töten massenhaft Zivilisten und verschonen niemanden – weder Frauen, noch alte Menschen, noch Kinder. Viele Menschen waren gezwungen, ihre Heimat zu verlassen.
Meine Familie und ich lebten in der Großstadt Charkiw, nahe der Grenze zu Russland. Charkiw ist eine große Industrie- und Studentenstadt mit knapp 2 Millionen Einwohnern vor dem Krieg. Am 22. Februar 2024 wurde die Stadt von der russischen Armee angegriffen. Meine Kinder, wie Millionen andere Ukrainer, flohen in europäische Länder, um ihre Kinder zu schützen. Meine jüngste Tochter kam mit ihrem Baby nach Finnland, meine ältere Tochter mit ihren beiden Söhnen nach Eppstein. Meine Frau und ich blieben zunächst in Charkiw. Die Lage verschlechterte sich rasch, und im Juni 2024 mussten wir ebenfalls nach Deutschland fliehen, um den ständigen Bombardierungen zu entkommen. Hier war ich von allem angenehm überrascht: die Ruhe, die Natur und die Menschen!
Jetzt fällt es schwer, sich vorzustellen, wie wir diese Kriegsjahre überstanden haben. In Eppstein herrschen Frieden und Stille. Die Sirenen heulen nicht, Raketen und Bomben fallen nicht auf Wohnhäuser, Drohnen greifen keine Zivilisten an, Militärflugzeuge fliegen nicht über uns, es wird nicht auf Menschen geschossen, Städte werden nicht bombardiert, es gibt Nahrung und Wasser. Meine Frau zittert nicht mehr, weint nicht und erschrickt nicht bei jedem Geräusch auf der Straße. Meine Enkelkinder besuchen die deutsche Schule. Sie sprechen sehr gut Deutsch und lernen Englisch. Meine Tochter Alla hat ebenfalls Deutsch gelernt und sucht nun nach einer Arbeit in ihrem Fachgebiet.
All diese Veränderungen im Leben meiner Familie wurden durch die klare Organisation der Behörden, Sozialdienste und der Menschen möglich, denen ich hier begegnet bin. Besonderer Dank gilt Volker Pottmann, dem früheren Vorsitzenden des Asylkreises (einer Organisation von ehrenamtlichen Helfern, Anm. Red.), und seiner Frau Regina. In Eppstein leben viele Ukrainer. Volker Pottmann und sein Team haben alle herzlich und hilfsbereit aufgenommen und ihnen geholfen, sich in ihrem neuen Leben einzurichten. Wir sind für die aufrichtige und freundliche Unterstützung unserer Familie zutiefst dankbar.
Die Menschen, die meine Familie hier kennengelernt hat, bilden einen unschätzbaren Teil des sozialen und kulturellen Lebens dieses Landes. Sie sind Vorbilder, an denen man eine Gesellschaft messen kann – wie frei, demokratisch und gastfreundlich sie ist. All diese engagierten Menschen widmen ihre Zeit und Energie mit Liebe, Respekt und unendlicher Geduld allen Flüchtlingen und helfen uns, uns in diesem Land, seiner Kultur, seinen Traditionen und Lebensweisen zurechtzufinden.
Ich bewundere dieses Land und bin dankbar für die Hilfe! Ich möchte glauben, dass meine Kinder hier ihre zweite Heimat gefunden haben.
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