Auf dem Programm stand „Feuer! de Maa brennt“ von der Fliegenden Volksbühne Frankfurt.
Michael Quast war bereits über zehnmal mit seinem Ensemble in Eppstein. Hinter jedem erfolgreichen Theatermacher wie ihm steht ein erfahrener Autor, so auch bei diesem Stück rund um das Revolutionsgeschehen 1848 von Rainer Dachselt. Der freie Schriftsteller und Literaturwissenschaftler lebt in Frankfurt. Da bietet sich ein Gang ins Institut für Stadtgeschichte an, um die „Criminalia-Akten“ des „Peinlichen Verhört-Amts“ zu studieren. Rainer Dachselt ließ sich von Protokollen, Klageschriften, Briefen und Notizen zur Zeit der Revolution von 1848 inspirieren. Das Papier in seinen Händen fing an zu sprechen. Es erzählte von Wirren und Straßenkämpfen. Es illustrierte Barrikaden und Schicksale. Es offenbarte, was zwischen den Zeilen stand.
Begonnen hatten die Unruhen 1848 in Frankreich. Das Volk wetterte gegen König Louis Philippe. Im österreichischen Kaiserreich richtete sich der Volkszorn gegen Staatskanzler Fürst Metternich. Die Flamme des Unmuts entfachte schließlich Flächenbrände in Deutschland. Für Pressefreiheit, Parlament und Reformen wurden auch in Berlin Pflastersteine herausgerissen, Möbel aufgeschichtet und Fuhrwerke umgekippt. Einfache Menschen griffen zu Gewehren. Von den Märzkämpfen 1848 bis hin zur Frankfurter Nationalversammlung in der Paulskirche war es ein weiter Weg.
„Feuer! de Maa brennt“ ist eine Regiearbeit von Michael Quast. Auch für das Bühnenbild zeigt er sich verantwortlich: bewegliche Stellwände, bedruckt mit Sequenzen eines zeitgenössischen Flugblattes voller Bajonette und Feuersturm.
Die perfekt auf die jeweilige Rolle abgestimmten Kostüme stammen von Salima Abardouch. Eine wandlungsfähige Szenerie benötigt zahlreiche Bärte und Perücken. Maskenbildnerin Katja Reich lotete ihre Ideenwelt phantasievoll aus. Den Parforceritt auf der Bühne übernahm das Schauspielensemble mit Andreas Jahncke, Ulrike Kinbach, Michael Quast, Randi Rettel und Gabriel Spagna in verschiedenen Rollen.
Für die Bühnenmusik sorgten Nina Wurman (Akkordeon), Stephan Völker (Klarinette) und Christian Spohn (Kontrabass). Die Revoluzzer-Combo kommentierte das Geschehen oder begleitete viele zeitgenössische Lieder. Als Geräuschemacher mit Donnerblech, Rassel oder Glocke erschuf das Trio zusammen mit Souffleuse und Sängerin Daniela Fonda eine stimmungsvolle Atmosphäre.
„Das Wetter passt“, stellte Bürgermeister Aleander Simon in seiner Begrüßungsrede klar. Erste Stadträtin Sabine Bergold bedankte sich bei Sponsoren, Organisatorin Christine Baum, Helferinnen und Helfern. Michael Quast ließ in seinem Vorwort vernehmen: „Die Fliegende Volksbühne im Großen Hirschgraben befindet sich neben dem Goethe-Haus. Somit liegen auch Dichtung und Wahrheit bei uns eng beieinander. Wer war da, warum und wo bei den Aufständen im Jahr 1848?“
Dann ging es Schlag auf Schlag. Wäre der Ginnheimer Schneidergeselle Simon (Gabriel Spagna) lieber bei der Nadel geblieben, als im Pulverrauch Bembel mit Äppelwoi zu leeren. Hätte er besser Strümpfe gestopft, als sich in der Töngesgasse die Barrikaden zu beschauen. Er wäre nicht zum hochnotpeinlichen Verhör mit dem cholerischen Heinrich (Michael Quast) geschleift worden. Verdächtigt wird er, Revolutionär zu sein und die Ginnheimer Feuerwehr gleich dazu.
War Simon auch mittendrin, als ein wutentbrannter Mob zwei städtische Abgeordnete meuchelte? Gibt es eine Verbindung zwischen Simon und Annette? Das „Ginnheimer Meedsche“ (Randi Rettel) hat bereits eine Aktennotiz, weil es exzessiv protestiert hat. Annette wird von einer verdächtigen Frau mit Regenschirm (Ulrike Kinbach) begleitet und vermutlich von ihr radikalisiert. Verwüstet wurde auch das Haus eines Frankfurter Bürgers, gespielt von Andreas Jahncke. „Wer zahlt das? Sie doch nicht!“, beklagt er sich beim Eppsteiner Publikum.
Es entwickelte sich ein bunter Reigen kammerspielartiger Szenen. Viel Komik boten Dispute und Diskussionen im Frankfurter Parlament. Die Verhöre durch den echauffierten Heinrich amüsierten durch Wortwitz. Viel schwarzer Humor wurde in den Barrikaden-Szenen verschossen. Protestrufe, gehämmert auf Gießkanne und geschlagen auf Kochtopf, brachten die Revolution sogar direkt ins Publikum. Main-Taunus-Bürgerin Frauke Frerichs-Gundt und der Eppsteiner Thomas Göb gerieten kurz ins Visier, in die Aufstände involviert zu sein. Auch ein Journalist in der ersten Reihe machte sich mit seinen Notizen verdächtig.
An Wucherpreisen bei Kartoffelsupp‘, schlechter Ernte und Politik, dargestellt mit einer Schattenwand, spaltete sich die Nation auch am Stammtisch. Die Parole „Macht aus euren Leibern Barrikaden“ wandelte das Publikum kurzerhand um und schrieb sich in der Pause den Schlachtruf „Füllt euren Leib mit Rindswurst“ auf die Fahnen.
In der Juchhe koordinierten die Burgschauspieler den Kampf ums Leibeswohl. Wer bereits an der Theke stand, hatte taktische Vorteile und wählte zwischen Spinatstange und Spundekäs. So einige durstige Eppsteiner forderten Grauburgunder. Etliche unterhielten sich angeregt. Im Ostzwinger ging die Schachvereinigung von 1932 in die Offensive. Vor einem Monat fiel der erste Einsatz des Vereins bei den Burgfestspielen wegen der Absage der Veranstaltung aus. Am letzten Abend der Festspielsaison gab es nun noch einen unvorhergesehenen Windstoß. „Die Zeltplane schlug gegen den Topf. Das Wurstwasser kippte in die Brötchenkiste. Brötchen weichten ein. Würstchen schwammen frei“, berichtete Jugendwart Bernd Steyer. Gegenwehr kam für den Schachverein am Revolutionsabend nicht in Frage. Ein Prosecco nach dem anderen geriet in die Hände der Gäste.
Gestärkt aus der Pause ging es zurück auf die Frankfurter Pfingstweide zu aufgebrachten Lustwandlern, die mit ihren Spazierstöcken drohten. Das Geschehen verlagerte sich in die Kampfzone „Paulskirche“, wo spritzige Wortgefechte direkt auf die Zwerchfelle des Publikums zielten. Beim Barrikadenbau ging es um die wirkungsvollste Drapierung von Sitzmobiliar. Weiße Fahnen flatterten in der Luft und Kugeln durchlöcherten Hüte. Dass die Welt der Revolution klein ist, sorgte für viel Vergnügen am Ende des Theaterstücks.
Michael Quast und sein Ensemble nahmen die verdienten Lorbeeren in Form von begeistertem Applaus, Fußgetrampel und Bravorufen entgegen.
Die Frau mit dem Regenschirm ist historisch belegt. Sie hieß Henriette Zobel. Zeugen sagten aus, sie habe mit ihrem Schirm auf den preußischen Generalmajor Auerswald eingeschlagen, der seinen Verletzungen erlag. Ob schuldig oder unter Tatverdacht, Henriette Zobel wurde zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Allein in Berlin starben bei den Straßenkämpfen 1848 über 300 Menschen. Man nannte sie „Märzgefallene“.
Ob die Schicksale und Toten von 1848 wirklich Stoff für eine Komödie sind, hinterfragte der vergnügliche Theaterabend nicht. Könnte man mit Lachen eine Revolution anzetteln, hätte die Fliegende Volksbühne Eppsteins Burg im Sturm erobert, was sie dann auch tat.uki
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