Aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg organisierten sich einige Niederjosbacher Männer und trafen sich am 23. Januar 1949 zur Gründungsversammlung eines Obst- und Gartenbauvereins im Gasthaus Zum Taunus in der heutigen Kirchgasse 1 – Grund genug für den Obst- und Gartenbauverein, das 75-jährige Bestehen zu feiern.
Vermutlich gab es schon um 1901 einen Obst- und Gartenbauverein in Niederjosbach. Das geht zumindest aus einer Notiz aus dem Gemeindebuch von 1901 hervor: Damals verpachtete die Gemeinde ein Stück Land an einen Obst- und Gartenbauverein. Vermutlich endete das Vereinsleben mit dem Ersten Weltkrieg. Mitte der 1930er Jahre gab es vermutlich Überlegungen, den Verein wiederzubeleben.
Da es keine Anwesenheitsliste gab, sind heute nur noch etwa 15 Namen der Gründungsmitglieder von 1949 bekannt. Zum Ersten Vorsitzenden wählten sie Alex Gruber, Johann Kilb aus dem Hainweg zum Kassierer, Otto Mühl zum Schriftführer, Heinrich Sabel zum Zeugwart, Peter Hebauf und Josef Heinz zu Beisitzern.
In Niederjosbach lebten die Menschen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein von dem, was sie auf den Feldern und Obstwiesen ernteten. Bis in die 1960er Jahre waren die meisten Niederjosbacher zumindest noch sogenannte „Feierabendbauern“, die sich erst nach ihrer Arbeit in der Fabrik oder einem Unternehmen in Frankfurt oder Wiesbaden um die eigene Landwirtschaft kümmerten. Oft blieb die schwere Arbeit den Frauen überlassen, und auch die Kinder mussten mit anpacken. Denn bis dahin sicherte die Landwirtschaft die Existenz der meisten Niederjosbacher Familien.
So war auch der Obst- und Gartenbauverein zunächst eine Zweckgemeinschaft: Die 53 Mitglieder, die der Verein Ende 1949 zählte, schafften sich noch in den beiden ersten Vereinsjahren zwei Rückentragespritzen für die Winterspritzung und die Vorblütenspritzung der Obstbäume an. Auch Krautfäule, Kartoffelkäfer oder Erdbeerblütenstecher ließen sich gemeinsam besser bekämpfen.
1952 übernahm Harald Steimer den Vorsitz, der damals noch seine Obstbaumanlage auf dem Hasenberg und auf der Halde betrieb. Steimer blieb bis 2002, also 50 Jahre Vorsitzender. Während dieser Zeit stellten die Niederjosbacher Landwirte zunächst auf den Erdbeeranbau um, weil sich damit gute Erträge und vor allem höhere Einnahmen erzielen ließen. Doch schon in den 1960er Jahren kam der Erdbeeranbau zum Erliegen, weil die Lohnkosten stiegen, die Einnahmen jedoch sanken: Anfangs bekamen die Erdbeerbauern noch 4 Mark pro Kilogramm Erdbeeren, im Erntejahr 1962/63 nur noch 1,60 Mark. Wegen des rasanten Preisverfalls gaben viele Niederjosbacher die Landwirtschaft ganz auf. Auch Harald Steimer gab den gewerblichen Obstanbau auf.Der Obstverkauf rentierte sich nicht mehr. Auf den ehemaligen Obsthängen des Hubertushofes legte er den heutigen Campingplatz an.
Diese Entwicklung führte auch im Obst- und Gartenbauverein zu einem Umbruch: Spritzen und Spritzmittel wurden nicht mehr gebraucht. Der Vorstand versuchte neue Interessen zu wecken. Schnittkurse wurden angeboten, Filmvorträge von den Reisen der Mitglieder gezeigt. Eine Wandergruppe wurde gegründet. Der Hubertushof war oft das Ziel der Wanderungen, wo selbstgekelterter Apfelwein ausgeschenkt wurde. Obstbau spielte kaum eine Rolle mehr, Gestaltung und Pflege der Hausgärten wurde dafür umso wichtiger. Es gab Wettbewerbe zur Gestaltung der Vorgärten, von Fenstern und Balkonen. Der Verein stellte Bänke an schönen Aussichtspunkten rund um Niederjosbach auf, eine besonders schöne Sitzgruppe stellte der OGV 2001 auf dem Ebert auf, an der ehemaligen Salzstraße von Okriftel nach Idstein.
2003 wurde Erich Gruber zum Vorsitzenden gewählt und Harald Steimer zum Ehrenvorsitzenden ernannt. Der Verein pflanzte eine Streuobstwiese, organisierte Pflanzentauschbörsen, das jährliche Latwerjefest, bei dem anfangs noch der riesige Kessel mit Pflaumenmus über dem Feuer köchelte, war ein Publikumsmagnet, ebenso die Apfelweinproben, die der Verein seit 2007 organisiert. Nistkästen werden gebaut, Obstbaumschnittkurse angeboten, zuletzt auch ein Mistelschnittkurs. Etliche Mitglieder haben eine Ausbildung zum Obstbaumfachwart in der Gartenbauakademie Geisenheim absolviert, um qualifizierte Kurse anzubieten.
In den ersten Jahrzehnten hatte der Verein rund 135 Mitglieder. Bis 2001sank die Zahl auf 80. Erich Grubers unermüdlichen Aktivitäten sei es zu verdanken, so der heutige Vorstand, dass die Zahl der Mitglieder wieder auf über 200 gestiegen ist, aktuell sind 205 angemeldet, darunter auch viele auswärtige Mitglieder.
2010 legten einige Frauen einen Kräutergarten neben der Streuobstwiese am Kamm an. Neben klassischen und mediterranen Gewürzkräutern wachsen dort auch Marienkräuter, wie sie zu Mariä Himmelfahrt gebunden und in der Kirche gesegnet werden.
2014 übernahm Pit Jungels das Amt des Ersten Vorsitzenden. 2015 wurden Apfelweinverkostung und Latwerjefest vom Hubertushof in den Ortskern verlegt. Seitdem wird im zweijährigen Rhythmus gefeiert. Für Kelterfest und Apfelweinherstellung schaffte der Verein sich eine Hydrokelter und einen Muser an.
2020 kam während der Corona-Pandemie das Vereinsleben fast zum Versiegen. Im gleichen Jahr erschütterte der Tod von Pit Jungels nach einem Unfall den Verein. Der zweite Vorsitzende Jens Kupfer übernahm das Amt. 2021 wurde Michael Dörr zum neuen Vorsitzenden gewählt. Nistkastenbau, Kelterfest und Apfelweinprobe, Vereinsausflug, Adventsmarkt und Adventsfeier finden seitdem wieder statt. Für Kinder bietet der Verein etliche Aktionen wie das Mostkeltern mit einer historischen Korbkelter an. Kindergarten und Grundschule waren schon zu Gast. Seit 2022 übernimmt der Verein an einem Wochenende auf der Burg die Bewirtung bei den Burgfestspielen.
Die Kräutergartengruppe würde gern wieder Kräuterfeste feiern und andere Aktionen planen, aber es fehle an aktiven und vor allem an jüngeren Mitgliedern, bedauert Jessica Dörr, die zweite Vorsitzende und Ehefrau des Esten Vorsitzenden Michael Dörr. Als Gärtnermeisterin ist sie Fachfrau für viele Aktivitäten des Vereins und als Mutter von drei Kindern, zwei 15-jährigen Töchtern und dem siebenjährigen Luis, Initiatorin etlicher Angebote für den Nachwuchs.
Bei der Durchsicht der Chronik stellte Jessica Dörr fest, dass ihre Familie von Anfang an mit dem Obst- und Gartenbauverein verbunden ist: „Mein Urgroßvater Johann Dörr steht auf der Namensliste der Vereinsgründer von 1949.“ bpa
Der Obst- und Gartenbauverein feiert am kommenden Wochenende sein 75-jähriges Bestehen: Zum Auftakt am Freitag, 27. Septemer, ab 20 Uhr (Einlass um 19 Uhr) eine zünftige Scheunenparty mit den Bergstreetboys – mangels Scheune im herbstlich geschmückten Vereinssaal. Am Sonntag wird weiter gefeiert: Zunächst im Festgottesdienst um 11 Uhr mit musikalischer Begleitung durch Kinder- und Kirchenchor. Anschließend geht es zum Kelterfest auf den Dorfplatz mit Prämierung der schönsten Vorgärten, Apfelschau, Tombola, Kinderprogramm und selbst gekeltertem Most und Apfelwein.
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