Emotionaler Abschied mit Erinnerungen und Musik

Friedhelm Fischer und Jörg Ritter überreichten Moritz Mittag (stehend, v.li.) zum Abschied Geschenke. Foto: Ulrich Häfner

Friedhelm Fischer und Jörg Ritter überreichten Moritz Mittag (stehend, v.li.) zum Abschied Geschenke. Foto: Ulrich Häfner

Am 19. Januar war es so weit – Pfarrer Moritz Mittag wurde von der Emmausgemeinde in Bremthal nach 37 Jahren aktivem Dienst im Rahmen des Sonntagsgottesdienstes verabschiedet – und ließ es sich nicht nehmen, diesen Abschiedsgottesdienst selbst zu halten.

Zahlreich waren Mitglieder der Emmausgemeinde, Freunde und Weggefährten gekommen, um Moritz Mittag zu verabschieden.

Bei strahlendem Sonnenschein und Temperaturen knapp über 0 Grad waren sämtliche Plätze im Gotteshaus in der Freiherr-vom-Stein-Straße und im bestuhlten Außengelände, in den der Gottesdienst übertragen wurde, besetzt. Aufmerksam lauschten die Besucher den Ausführungen von Moritz Mittag zu seinen beruflichen Anfängen in Begrüßung und Predigt. Seinen ersten Gottesdienst hielt er am 2. August 1987 in Bremthal in der St. Margareta Kirche, mit einer deutlich kleineren Gemeinde als heute, wie Mittag rückblickend feststellte.

„Inkompetenzkompensationskompetenz“, damit empfahl sich der junge Moritz Mittag einst dem vorsitzenden Oberkirchenrat der Einstellungskommission. Der sperrige Begriff wurde 1973 im gleichnamigen Festvortrag von dem Philosophen Odo Marquard geprägt und meint die Fähigkeit von Menschen, sich die eigene Unfähigkeit nicht anmerken zu lassen und diese stattdessen geschickt und durch verschiedene Strategien zu überspielen.

Und zu kompensieren, also Defizite auszugleichen, gab es in den Anfängen der Emmausgemeinde vieles. Selbst ihre Ausbildung vermochte die jungen Pfarrerinnen und Pfarrer nicht umfänglich auf das Leben und die Aufgaben, die sie erwarteten, vorzubereiten. So kam es, dass auch Moritz Mittag sehr bald feststellte, dass ihn die Arbeit in seiner jungen Kirchengemeinde vor so manche Herausforderung stellte und ihm auch mal die Worte fehlten. Er erinnerte an Gottesdienste zu viert oder zu siebt und die Dankbarkeit, die er über die Gastfreundschaft der katholischen Gemeinde empfand, hatte seine kleine Gemeinde seinerzeit doch noch kein eigenes Zuhause. Erst mit dem Bau des Gemeindezentrums sei Emmaus auch erkennbar Gemeinde geworden.

Doch Moritz Mittag blieb nicht bei der Betrachtung der Vergangenheit stehen. Auf die Menschen in den Kirchenvorständen und den sich neu formierenden Gremien im Rahmen des Reformprozesses ekhn2030 warte eine Menge Arbeit und Mühe. Frustrationserlebnisse würden sicherlich nicht ausbleiben, wenn die Verantwortlichen vermitteln müssten, welche Veränderungen anstehen und wie der Weg in die Zukunft aussehen wird.

Ob sie sich mit dem Marquardschen Gedanken der „Inkompetenzkompensationskompetenz“ wohl werden anfreunden können? So sinnierte Moritz Mittag gegen Ende seiner Predigt. Werden die Gemeinden diejenigen sein, die das Wort aussprechen, das den anderen gerade fehlt? So, wie es seinerzeit auch ihm ergangen war? Moritz Mittag blickt zuversichtlich in die Zukunft: Wenn man „den Vertreterinnen und Vertretern der Gemeinden den Spielraum lässt, den sie brauchen, um nicht zu verstummen, werden sie die sein, die die lange an Hauptamtliche delegierten Aufgaben selbst und selbstbewusst wahrnehmen“.

In der Abschiedsfeier wurde das Wirken von Moritz Mittag bei Jahrgangswein und kleinen Köstlichkeiten, die ein großer Kreis von Gemeindemitgliedern für die Feierlichkeiten vorbereitet hatte, noch einmal ausführlich gewürdigt. Friedhelm Fischer, der kurzweilig durch das Programm führte, sorgte zusammen mit Ute Udluft für ein Revival der Anfänge der Gemeinde, die damals noch „Pfarrbezirk II der Evangelischen Kirchengemeinde Eppstein“ hieß und – wie noch heute – Bremthal, Niederjosbach und Ehlhalten umfasst.

Beide gehören zu den Gründern der Emmausgemeinde und teilten ihre Erinnerungen im Plauderton mit den Anwesenden. Den alten Wegweiser in das erste Pfarrbüro in der Waldallee hatten sie zur Anschauung mitgebracht und führten aus: „Dieses Büro mit integrierter Wohnung bezog er im Untergeschoss eines Wohnblocks und dem Geschoss unter dem Untergeschoss.“ Jugendgruppen trafen sich in seinem Wohnzimmer, und Gottesdienste durften in St. Margareta in Bremthal vor der Messe gefeiert werden. Sicher entstand schon damals der Traum vom eigenen Gemeindehaus, der dann 1997, zehn Jahre nach Mittags Ordination, wahr wurde.

Einst Konfirmand in der Emmausgemeinde, heute mehrfach ausgezeichneter Professor für Mathematik an der Universität in Bonn und begnadeter Pianist: Valentin Blomer ehrte Pfarrer Mittags Verdienste auf musikalische Weise und verzauberte die Anwesenden zunächst mit zwei Intermezzi aus den Klavierstücken op. 118 von Johannes Brahms.

Doch Valentin Blomer hatte zusammen mit Stefan Dörr – Kirchenmusiker und Chorleiter aus Frankfurt, der den Abschiedsgottesdienst an der Orgel begleitete – noch eine weitere, außergewöhnliche Überraschung vorbereitet, mit der das Programm musikalisch bereichert wurde: Mit dem Choral „Jesu bleibet meine Freude“ aus der Kantate „Herz und Mund und Tat und Leben“ von J. S. Bach und „Habe Dank“ von Richard Strauss, (op. 10 Nr. 1), beides arrangiert für Klavier und Orgel von Valentin Blomer, schenkten sie Moritz Mittag zum Abschied einen äußert seltenen klanglichen Genuss mit der ausgefallenen Besetzung Orgel und Flügel. Außerdem überreichte Valentin Blomer noch ein weiteres Geschenk: Er lud Moritz Mittag zu einem Liederabend mit Liedern von Brahms, Montsalvatge und de Falla ins Emmaus Gemeindezentrum ein. Diesen Liederabend bestreitet er am 26. April gemeinsam mit der Mezzosopranistin Katharina Magiera, die seit 2009 dem Ensemble der Oper Frankfurt angehört und Moritz Mittag und der Emmausgemeinde ebenfalls verbunden ist.

Geschenke gab es auch von der Gemeinde: Dorothea Lindenberg, seit Jahrzehnten Mitglied des Kirchenvorstands, und Martina Schenck-Fellmer, seit Jahren als Gemeindesekretärin täglich an Moritz Mittags Seite, überreichten zwei schwere, in edles blaues Leinen gebundene Ausgaben der Gemeindebriefe der Emmausgemeinde, die Moritz Mittag seine Jahre als Gemeindepfarrer beim Durchblättern in Erinnerung rufen. Darüber hinaus erhielt er ein Fotobuch mit über 800 Bildern, auf denen besondere Ereignisse aus 37 gemeinsamen Jahren wie Jugendfreizeiten, Gemeindefahrten, Veranstaltungen oder eines der vielen Feste, für die die Emmausgemeinde bekannt ist, festgehalten sind.

Und damit er beim Schwelgen in den Erinnerungen auf seine „alten Tage“ nicht friere, überreichte Doro Seidel vom Gottesdienstvorbereitungsteams dem „guten Hirten“ Moritz Mittag eine große handgestrickte Wolldecke von seinen „Schäfchen“, die neun Frauen aus der Gemeinde in den vergangenen Monaten aus Schurwolle und Alpaka für ihn gestrickt haben. Natürlich durften auch ein Abschiedsgruß und ein symbolisches Geschenk der Stiftung der Emmausgemeinde nicht fehlen. Jörg Ritter, der auch als Mitglied des Stiftungsrates für die Emmausgemeinde tätig ist, erinnerte an die Anfänge der Stiftung, die im Jahr 2005 auf Initiative von Moritz Mittag gegründet wurde. Die ursprüngliche Idee, einmal so viel Kapital anzusammeln, dass aus den Erträgen eine Pfarrstelle finanziert werden könnte, erweist sich vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in der EKHN als sehr vorausschauend.

Auch wenn der Kapitalstock noch weiterhin kräftig durch Zustiftungen aufgestockt werden muss, bis dieses Ziel erreicht ist, leistet die Stiftung seither eine nicht mehr wegzudenkende finanzielle Unterstützung der Gemeinde, damit viele Projekte überhaupt erst möglich werden. Das legendäre „Stiftungs-Öl“, das Moritz Mittag im Namen der Stiftung schon zahlreichen Gastrednern als kleines Dankeschön überreicht hat, durfte er an diesem Tag selbst als symbolisches Zeichen der Wertschätzung seiner 20-jährigen Arbeit für die Stiftung in Empfang nehmen. Das hochwertige Olivenöl wird jährlich direkt vom Erzeuger in Italien oder Griechenland eingekauft und von der Stiftung in Handarbeit abgefüllt und etikettiert.

Die Abschiedsfeier war von einer warmherzigen und glücklichen Atmosphäre geprägt. Emotional wurde es noch einmal zum Ausklang, als alle gemeinsam das „Emmaus-Lied“ anstimmten, das William Henry Monk 1861 als Even Song komponierte und das die Gemeinde seit vielen Jahren begleitet.

Nach Emmaus, dem kleinen Dorf bei Jerusalem, wurden Gemeinde und Zentrum einst benannt. Der Evangelist Lukas erzählt im 24. Kapitel von zwei Jüngern, die sich nach dem Tod Jesu nach Emmaus zurückziehen. Auf dem Weg dorthin begegnet ihnen einer, den sie später beim Abendbrot als den Auferstandenen erkennen. Von Emmaus aus wenden sie sich wieder ihrem Leben und ihrem Auftrag zu und folgen den Spuren Jesu. In diesem Sinne sieht Moritz Mittag die Emmausgemeinde weiterhin in guten Händen.

Den Bericht hat Sandra Rösner vom Kirchenvorstand für die Eppsteiner Zeitung geschrieben.

Richtigstellung

Manchmal passiert es auch den erfahrensten Journalisten, dass sie ein Bild völlig falsch interpretieren und nicht nachfragen. So geschehen bei der Ankündigung der für Sonntag, 2. Februar, geplanten offiziellen Amtseinführung von Ivonne Heinrich, seit dem 1. Januar neue Pfarrerin der Emmausgemeinde (siehe EZ Nr. 4/75 vom 23. Januar 2025). Dem Bericht haben wir ein Foto vom Abschiedsfest für ihren Vorgänger Moritz Mittag von Mitte Januar hinzugefügt, das uns unser Fotograf Ulrich Häfner geschickt hatte.

Der eigentliche Bericht über Abschiedsgottesdienst und Empfang, den Sandra Rösner vom Kirchenvorstand für uns geschrieben hat, folgt in dieser Ausgabe. Der verrät auch des Rätsels Lösung. Denn bei dem Hinweisschild zum „Pfarramt II“ handelt es sich nicht um einen Abschiedsscherz, wie wir vermuteten, sondern um eine Reminiszenz an die Anfangsjahre von Moritz Mittag, als der junge Pfarrer seine erste Pfarrstelle in der Talkirchengemeinde antrat, die damals noch für alle Eppsteiner Stadtteile zuständig war. Mittag übernahm das „Pfarramt II“ in Bremthal 1987, damals in der Waldallee 53, einer Souterrainwohnung, die sowohl Anlaufstelle für die Gemeinde war als auch Wohnung des Pfarrers.        bpa

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