Durch Zufall entdeckt: Café Lorsbachtal wäre 100 Jahre alt

Das Café Lorsbachtal auf einer Postkarte um 1928. Die längs stehende Halle links wurde 1930 durch eine Holzhalle ersetzt. Die Familie lebt in der fünften Generation im Haus in der Lorsbacher Straße..
            Quelle: Stadtarchiv Eppstein

Das Café Lorsbachtal auf einer Postkarte um 1928. Die längs stehende Halle links wurde 1930 durch eine Holzhalle ersetzt. Die Familie lebt in der fünften Generation im Haus in der Lorsbacher Straße..

Quelle: Stadtarchiv Eppstein

Eigentlich wollte Volker Steuernagel, in Eppstein auch als Bürger Jordan bekannt, nur seinen 50. Geburtstag nachfeiern, der 2020 genau in die Zeit der Corona-Pandemie fiel. Bei den Vorbereitungen für ein hessisches Apfelweinfest hatte er nun die Idee, ...

... das Fest nach dem „Café Lorsbachtal“ zu nennen, das Steuernagels Urgroßvater Hermann Müller in dem Haus in der Lorsbacher Straße betrieb, in dem Volker Steuernagel schon seine Kindheit verbrachte. Stadtarchivarin Monika Rohde-Reith war ihm behilflich bei der Suche nach Unterlagen und entdeckte, dass das Café Lorsbachtal vor genau 100 Jahren erstmals öffnete.

Hermann Müller war ein Bergmannssohn aus dem Saarland. Nach dem Ersten Weltkrieg war das Saarland aus der Weimarer Republik ausgegliedert worden. Der 1876 geborene Müller arbeitete zunächst selbst im Bergbau, später in der Bergbauverwaltung bis ihn die französische Verwaltung 1922 vorzeitig entließ. Wenige Tage danach zog er als Pensionär mit Ehefrau und vier Kindern im Alter von 16 bis 22 Jahren nach Eppstein.

Wie einem seiner Briefe an das Amtsgericht Königstein zu entnehmen ist, wollte er mit dem Gartenlokal eine zusätzliche Einnahmequelle für sich und seine Familie aufbauen. 1922 kaufte er das Haus dem Gründer der benachbarten Farbenfirma RUCO ab und eröffnete am 27. Mai 1925 ein Gartenlokal zum Ausschank alkoholfreier Getränke wie Kaffee, Tee, Mineralwasser und Schokolade. Zunächst war der Verkauf im Erdgeschoss des Hauses. 1930 errichtete Müller eine offene Halle für den Ausschank in den Sommermonaten, die erstmals 1931 öffnete.

Nach längerem Schriftverkehr und einem Gerichtsverfahren erlangte Müller schließlich im April 1927 eine Konzession für den Ausschank alkoholischer Getränke. Briefe von Hermann Müllers Gästen belegen, dass das Thema Bierausschank die Besucher des Cafés sehr bewegte: „Bei meinem Dortsein vor 14 Tagen war ich erstaunt, dass Ihnen immer noch nicht die Erlaubnis erteilt wurde, geistige Getränke zu verabreichen“, schreibt etwa ein Gast aus Frankfurt im September 1925. Auch illustre Gäste begrüßte Steuernagels Urgroßvater in seinem Garten: 1931 war Richard Wilhelm Leopold von Hessen zu Gast im Café, der Urenkel Königin Victorias von Großbritannien und Neffe des ehemaligen deutschen Kaisers Wilhelm II.

Bilder vom Schankbetrieb gibt es nicht, dafür einige Anzeigen aus dem Vorläufer der Eppsteiner Zeitung, dem Heimatboten um Rossert und Staufen. So wirbt Müller 1929 „Klavier, Cello und Violine vorhanden – Täglich Konzerte“ oder 1934 mit „Kirmes-Sonntag“ und „Tanz-Musik“ mit einer „Original Oberbayerischen Stimmungs-Kapelle“. Die letzte bekannte Anzeige stammt aus dem Jahr 1936 mit dem Hinweis: „Café Lorsbachtal zapft ab heute vorzüglichen Apfelwein“.

„Das war der Bezug zu meinem heutigen Apfelweinfest“, scherzte Volker Steuernagel, der auch auf die politische Rolle seines Urgroßvaters mütterlicherseits in Eppstein hinweist: „Mein Urgroßvater hat auch Geschichte im Ort geschrieben, er war Bürgermeister von 1939 bis 1945, wundert euch also nicht über das eine Foto im Ordner.“

Aus der Blütezeit des Cafés sind nur wenige Fotos erhalten. Eines zeigt das Haus von der Straße aus. Hermann Müller steht auf dem Balkon, darüber das Gasthausschild mit dem Schriftzug „Café Lorsbachtal“. Auf einem späteren weht weithin sichtbar die Hakenkreuzfahne der Nationalsozialisten über dem Dach. Müller setzte sich nach dem Umzug der Familie nach Eppstein für die Hebung des Fremdenverkehrs ein. Er wollte Ausflügler und Urlauber nach Eppstein holen und war Mitbegründer des Verkehrsvereins. Zwei Jahre lang kämpfte er um eine Konzession für den Bier-Ausschank.

In seinem Nachwort „Eppstein im Nationalsozialismus“ zu Emmy Meixner-Wülkers Buch „Zwiespalt“ schreibt der ehemalige Stadtarchivar Bertold Picard, dass sich Hermann Müller schon früh zum Nationalsozialismus bekannte. Ab 1930 war er Ortsgruppenleiter. Schließlich setzte die Nationalsozialistische Kreisverwaltung den Beigeordneten Hermann Müller am 1. September 1939 nach Ablauf der Amtszeit des sozialdemokratischen Bürgermeisters Fritz Maul zum ständigen Bürgermeistervertreter ein. Sein Café hatte Müller laut Picard schon zum 1. Juni 1939 geschlossen.

Ob damit auch die Konzession erloschen sei, prüfe er gerade, sagte Steuernagel scherzhaft, dessen Kinder jetzt schon als fünfte Generation der Familie in dem Haus wohnt. Zumindest an diesem schönen Spätsommer-Abend folgten viele Gäste seiner Einladung: „Auf ins Café Lorsbachtal zum Äppelwoi – feiern wir zusammen – was kann schöner sei’“. jp/bpa

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