Blutgericht und peinliche Strafen

Kindsmörderin Gertraud Kroh (Nathalie Wolz) fleht den Gerichtsbüttel (Janna Bergen) an. Foto: Helga Mischker

Tief hängende Wolken und strömender Regen tauchten die Burgstadt am Ostermontag in ein trübes Licht. Doch trotzdem versammelten sich rund 80 Spaziergänger am Bahnhof zum traditionellen Auftakt der Sommersaison auf der Burg.

Museumsleiterin Monika Rohde- Reith ließ ein düsteres Kapitel Eppsteins aufleben: „Verliese, Gerichte und Galgen“. „Anlass ist eine Neuinstallation im Obergeschoss des früher als Gefängnis genutzten Bettelbubs“, informierte Rohde-Reith. „Das Wetter passt zum Thema“, bemerkte sie augenzwinkernd, eingepackt in einen Trenchcoat und mit Regenhut auf den blonden Locken. Tatsächlich ließen ihre lebendigen Schilderungen über die Bestrafung von Delinquenten zu feudaler Zeit das Blut in den Adern gefrieren.

Mit Hängen, Enthaupten, Rädern, Ertränken, Eingraben und Pfählen bei lebendigem Leib, Verbrennen, Verstümmeln oder Stäupen, dem Verprügeln mit Lederriemen oder Metallgegenständen, wurden selbst Vergehen geahndet, die heute als Privatsache gelten und dank des im Grundgesetz verankerten Schutzes der Menschenwürde nicht mehr verfolgt werden dürfen wie Homosexualität, Ehebruch, angebliche Zauberei, Fluchen oder Gotteslästerung.

Das peinliche Gericht mit Folter und Exekutionen sei allerdings nicht typisch für das vermeintlich finstere Mittelalter, stellte Rohde-Reith richtig. Erst im späten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit galt das Prinzip Böses mit Bösem zu vergelten. Zuvor wurden Vergehen häufig mit Geldstrafen gesühnt.

Die Gerichtshoheit über den von den Römern abgesteckten Bezirk Königssundragau, der vom Limes bis zum Rhein reichte und im Osten vom Schwarzbach begrenzt wurde, hatten zunächst die Herren von Eppstein inne, später die Landesherren.

Auch Fluchen, Stehlen und Gotteslästerung standen unter Strafe

Wer die Burg besaß, war im Auftrag des Reiches Herr der Landgerichte Mechtildshausen und Häusel. Schwere Vergehen, die durch Blutstrafen gesühnt wurden, ahndete im Namen der Herren von Eppstein (später Hessen/Kurmainz) ein Schöffengericht unter Vorsitz des Eppsteiner Schultheißen.Im frühen Mittelalter tagte es unter der Linde bei Hof Häusel, später im Rathaus.

Schon am Treffpunkt traten die Burgschauspieler in Aktion. Katharina, gespielt von Juliane Rödl, fluchte und trug einen Korb mit Äpfeln und einem Fisch mit sich. Zwei Kinder verrieten die Witwe an den Schultheißen (Benjamin Peschke), der sie abführte und ihr eine schwere Strafe androhte. Die fiktive Figur der Katharina stand für Marx Knotz aus Gerabronn, der wegen Diebereien, Fluchens und Gotteslästerung 1612 an der Richtstätte Häusel mit Ruten gestäupt und des Landes verwiesen wurde.

Gespannt folgten die Ostermontagsspaziergänger Rohde-Reith durch die Burgstraße zum Sparwasser-Eck in der Altstadt und zum Gottfriedplatz, dann den Ostaufgang hinauf zum Bettelbub auf der Burg. Am Sparwasser-Eck, direkt am Schwarzbach, stand einst der Bürgerturm. Dort wurde 1601 zur Strafe der Turmwächter Peter Koch „eingelocht“, weil er der Anweisung des Amtmanns nicht gefolgt war, zwei des Glücksspiels überführte Gauner anzuketten. Die beiden entkamen und Koch musste bei Wasser und Brot im Turm ausharren. Beinahe wäre er sogar ertrunken, da der Schwarzbach so stark anschwoll, dass das Hochwasser im Kerker anstieg. Sein Vergehen wurde auch noch mit einer hohen Geldstrafe belegt.

Auf dem Gottfriedplatz vor dem Verlagshaus der Eppsteiner Zeitung folgte die nächste Szene aus dem Jahr 1687. Natalie Worz spielte die Unterliederbacher Magd Gertraud Kroh, die ihr neu geborenes Kind getötet hatte. Gezeichnet von der Folter flehte die Kindsmörderin den Scharfrichter und seinen Büttel an, das Quälen zu beenden. Zwei Frauen (Ela an der Heide und Edith Wißkirchen), die der Verurteilten folgten, waren entsetzt über Krohs Tat und wollten sich die Hinrichtung nicht entgehen lassen.

Eppstein hatte, anders als die großen Städte, keinen eigenen Scharfrichter, berichtete Rohde-Reith. Man ließ ihn aus Oberursel, Mainz, Groß-Gerau oder Frankfurt kommen. Der Galgen stand oberhalb von Hof Häusel an einem uralten von Kriftel kommenden Fernweg an einem Platz mit Namen Galgenäcker. Die Henker, die auch die Folter auf gerichtlichen Beschluss vorzunehmen hatten, ließen die Hingerichteten zur Abschreckung lange am Galgen hängen. Die verwesten Körper vergruben sie auf dem Richtplatz, denn ein christliches Begräbnis auf dem Friedhof kam nicht in Frage.

Krohs Enthauptung – diese Form der Hinrichtung galt als Gnade – fand am 26. Juni 1687 auf der Richtstätte Hof Häusel statt. Es war die letzte Hinrichtung an dieser Stelle. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts waren dort die Gerichtslinde und der Hinrichtungsplatz zu sehen. Heute erinnert noch ein Wegkreuz daran, so Rohde-Reith. „Es wäre spannend, wenn man dort graben könnte“, so die leidenschaftliche Archäologin, denn über Hinrichtungen im Mittelalter sei nur wenig bekannt. Aus der Zeit von 1491 bis 1637 habe der frühere Stadtarchivar Bertold Picard über 18 Exekutionen an dieser Stelle geforscht, von 14 Männern und vier Frauen. Hexenprozesse und -verbrennungen fanden in Eppstein nicht statt, dafür gab es zahlreiche im Kurfürstentum Mainz und im nassauischen Idstein.

Vor dem Bettelbub auf der Burg warfen die Osterspaziergänger einen Blick auf die Medieninstallation im Obergeschoss, die zu den Öffnungszeiten immer wieder abgespielt wird. Das runde Türmchen, das 1430 zu Verteidigungszwecken errichtet wurde, diente im 18. Jahrhundert für etwa 50 bis 60 Jahre als Untersuchungsgefängnis. Im Untergeschoss ertönt dank einer älteren Installation das Wimmern und Klagen von Inhaftierten.

Die neue Medieninstallation aus der Schmiede der Grafikerin und Trickfilmerin Leonore Poth wurde mit den Stimmen der Burgschauspieler Benjamin Peschke, Volker Steuernagel und Dirk Büttner realisiert. Sie informiert auf spielerische Weise über die Ausgrabungen von Franz Burkhard, von dem ein Grabungstagebuch überliefert ist. Laut Drehbuch fand der erste Burgenkonservator im Jahr 1905 „Beineisen“, verschimmeltes Stroh und einen Napf im Verlies und ist so betroffen, dass er fiktiv in einen Dialog mit einem einstigen Gefangenen tritt, der hier im 18. Jahrhundert in Untersuchungshaft einsaß.

In der Mitte des Raums sind in einer Vitrine die Fundstücke aus rostigem Eisen aus dem Verlies ausgestellt. Sie sollen die Besucher zum Rätseln anregen, denn richtig schlüssig ist die Idee der Beinfesseln nicht. Die eingereichten Ideen werden vom Burgmuseum publiziert.

Auf dem Burghof trafen die Osterspaziergänger wieder auf die Burgschauspieler. Ein Böllerschuss leitete das peinliche Gericht der von Folter schwer gezeichneten Katharina ein. Sie bat den Schultheißen um Gnade, ebenso die Kindsmörderin. Doch bekanntlich kam nur Katharina mit dem Leben davon. Der Schultheiß schickte sie in die Kirche, bevor sich alle in die Juchhe, den Gastraum der Burgschauspieler begaben, wo sie von Bianca Tatzelt und Markus Meiners bewirtet wurden.mi

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