Vom Wissenschaftler zum preisgekrönten Filmemacher

Professor Gerhard Kreysa an seinem Computer. Er konzipiert, filmt und schneidet seine Filme selbst.Foto: Frauke Frerichs-Gundt

„In  den letzten fünf Jahren vor meiner Pensionierung habe ich mir ein Hobby gesucht, mit dem ich meinem Nachfolger nicht auf die Nerven gehe“, erklärte Gerhard Kreysa, ehemaliger Geschäftsführer der DECHEMA Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie im Interview seine strategische Vorbereitung auf das Rentnerdasein.

Statt als Berater weiter zu arbeiten, habe er sich einen halben Meter Bücher von Golo Mann und einen Schallplatten-Digitalisierer gekauft. Doch schnell hatten ihn zwei andere Hobbys gefesselt. Der Plattenspieler sei nur bei rund zehn oder fünfzehn Platten zum Einsatz gekommen. Denn der promovierte Chemiker spielt bei schönem Wetter Golf, bei allen anderen Wetterlagen konzipiert, filmt und schneidet er seine eigenen Filme.

Mit der Videokamera rückt der passionierte und mittlerweile mehrfach preisgekrönte Filmemacher ein buntes Kaleidoskop an Themen in den Fokus. Was ihn bewegt, das wird aufbereitet, vor die Linse genommen, auf Speicherkarte gebannt und dann auf vielen Kanälen vorgeführt. Erst kürzlich zeigte Kreysa seine Filme „Blaumachen“, „Aus einem Guss“ und „Planet der Enkel“ in Eppstein. Der letztgenannte Film beschäftigt sich mit einem seiner Herzensangelegenheiten, dem Klimaschutz.

Nur konsequenter Umwelt- und Klimaschutz können die Lebensgrundlage für die Menschen erhalten. „Um die Erde selbst bin ich nicht besorgt, denn die Natur hat in den vergangenen Milliarden Jahren bewiesen, welche Kraft sie hat. Es wird aber für die Menschheit eng, wenn sie so weiter macht“, fasst Kreysa seine Sorge zusammen. Die jungen Menschen von „Fridays for Future“ hätten seine volle Solidarität. „Sie haben in kürzester Zeit den Klimaschutz als dringliches Thema in das Bewusstsein der Menschen gebracht. Das haben wir Wissenschaftler in den vergangenen 40 bis 50 Jahren erfolglos versucht“, so Kreysa.

Aus Wut über die Pläne zur Endlagerung von Kohlendioxid entwickelte der Wissenschaftler ein Verfahren, das Methangas in Kohlenstoff und Wasserstoff aufspaltet. Der Wasserstoff stände als Brennstoff zur Verfügung, der feste Kohlenstoff ließe sich wie natürliche Kohle gefahrlos vergraben und bei Bedarf wieder hervorholen. Durch seine gute Vernetzung in Wissenschaft und Industrie wurde die Idee aufgegriffen und die BASF betreibt eine Pilotanlage des Verfahrens. „Auf eine Patentierung des Verfahrens habe ich bewusst verzichtet. Gleichzeitig schrieb ich aber jede Menge Berichte in der Fachpresse“, schmunzelt der gewiefte Taktiker.

Ohne Patent sei das Verfahren für alle offen, egal ob in Deutschland oder jedem anderen Land der Welt. Anders als so manches Patent verschwinde es dadurch aber nicht in den Schubladen der Lobbyisten. Durch die Veröffentlichungen sei eine Patentierung durch andere Personen zumindest sehr schwierig.

Diese realistisch-taktische Vorgehensweise zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben von Kreysa. Der promovierte Chemiker stammt aus Dresden. Schon während seines Studiums spürte der junge Student, dass er für ein Leben in der DDR nicht geschaffen sei. „Ich wollte schon immer frei denken, mir meine eigene Meinung durch Recherche vieler, möglichst unabhängiger Quellen bilden und sie frei artikulieren dürfen“. Das habe man in der DDR nicht gekonnt, zu engmaschig sei die Bespitzelung gewesen. Das ganze System habe ihm gewaltig gestunken. Er wusste, dass er für die Promotion Mitglied der SED werden musste. Doch auch hier fand der findige Wissenschaftler eine Lösung. Schon vor seiner Anmeldung zur Doktorarbeit trat er in die CDU der DDR ein, die damalige Alternative zur SED. So verhinderte er seine Zwangsverpflichtung zum Parteieintritt.

„Mit Karriere war es damit natürlich vorbei. Aber, ich wollte schon immer in den Westen“, erzählte Kreysa. Der Weg nach Westen sei eine Abwägung von Chance und Risiko gewesen. Flucht, Ausreiseantrag (Erfolgsquote 55%) oder Freikauf durch die damalige Bundesrepublik Deutschland seien die Alternativen gewesen. Er recherchierte, welcher der genannten Möglichkeiten die größte prozentuale Wahrscheinlichkeit auf Erfolg versprach und entschied sich für die Variante „Freikauf“ mit der Erfolgswahrscheinlichkeit von 95%. Hierfür musste man politischer Gefangener der DDR sein. Deshalb machte er zwei halbherzige Fluchtversuche, ließ sich dann absichtlich erwischen und landete wie geplant im Stasi-Gefängnis. Auch diese Erfahrungen hat er filmisch im „Der erste Tag“ verarbeitet. Das Werk ist zu finden in der Mediatek Hessen: https://www.mediathek-hessen.de/medienview_11692_Prof.-Gerhard-Kreysa-MOK-Rhein-Main-Der-erste-Tag.html.

Fast wäre sein Kalkül nicht aufgegangen, denn Willy Brandt hatte im Grundlagenvertrag eine Amnestie für politische Gefangene ausgehandelt. „Das war nicht in meinem Sinn, ich wollte doch ausgetauscht werden“, so Kreysa. 1973 hatte er es endlich geschafft.

Durch die internationalen Verbindungen seines sehr verständnisvollen Doktorvaters fand er sofort eine Stelle bei der Dechema, zunächst in der Forschung. Er beschäftigte sich mit einem System, das schwermetallhaltige Abwässer reinigen kann. Er erhielt darauf ein Patent und freute sich, dass wegen der Verschärfung der Grenzwerte, die auf Betreiben der Grünen durchgesetzt wurden, sein Verfahren immer beliebter wurde.

Gerhard Kreysa ist noch immer in zahlreichen nationalen und internationalen Ehrenämtern engagiert: etwa im Vorstand des Wissenschaftlichen Rates der AiF (Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen), als Generalsekretär der Europäischen Föderationen für Chemieingenieurwesen und für Korrosion, als Vorsitzender des Vorstands der Kurt-Schwabe-Stiftung und Vorsitzender des Hochschulrates der TU Clausthal. Er ist Mitherausgeber renommierter Zeitschriften und Mitglied in Editorial Advisory Boards, Kuratorien und Aufsichtsräten.

„Wo es um Wissenschaft geht, da bin ich noch immer dabei“, so Kreysa. Für seine Ideen, sein Engagement und sein fundiertes Wissen und Können wurde er im In- und Ausland mit Preisen und Würden geehrt. Er lehrte an den Universitäten Dortmund und Regensburg. Heute hält er Vorträge bei seinen „Chemie-Senioren“, in Altenheimen, im Rotary Club und auf Fachtagungen. Der rüstige Rentner hat noch viele Ideen im Hinterkopf, die er mit seinen Filmen thematisieren möchte. ffg

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