„Es war eine echte Befreiung“, sagt die stellvertretende Pflegedienstleiterin Martina Kiehl, ebenso der Wegfall der Testpflicht für Besucher. Zum 7. April fällt wahrscheinlich auch die Maskenpflicht für Besucher. Darauf freut sich auch Bewohnerin Inge Meininger. Die 93-jährige gab vor knapp eineinhalb Jahren ihr Haus in Ruppertshain auf und zog in ein Zimmer in der Seniorenresidenz. Während der Hochphase der Pandemie. „Ich habe fast ein Jahr gesucht“, erinnert sie sich. Sie habe ihre Entscheidung nicht bereut und fühle sich in der Residenz sehr wohl. Sie hat vier Töchter, acht Enkel und acht Urenkel, und sagt dennoch: „Ich wollte selbst entscheiden, bevor das irgendwann andere für mich tun müssen.“
Am schlimmsten sei für sie in den ersten Monaten die Abgeschiedenheit gewesen. „Wir durften nicht raus. Die Masken waren schrecklich. Aber das Personal hat die Situation so angenehm wie möglich für uns gemacht und uns so viel Abwechslung wie möglich geboten“, betont sie. Fastnacht wurde dieses Jahr wieder mit Luftschlangen, Sekt und Wein gefeiert. Sie nimmt auch die regelmäßigen Bewegungsangebote wie Sitztanzen und Gymnastik wahr. Außerdem gebe es eine Singstunde.
Andere Gruppenangebote seien nach der Pandemie nicht wiederbelebt worden. Die Handarbeitsrunde gibt es nicht mehr. Auch Besuche von Helfern des Vereins Miteinander-Füreinander oder die Spiele-Nachmittage mit einer Gruppe von Jugendlichen seien eingestellt worden. Umso besser sind Inge Meininger einzelne Aktivitäten im Gedächtnis: Das Trompetensolo eines Musikers während der Adventszeit vor den Türen der Residenz oder der Traktor-Corso, der eine Schleife über den Vorplatz drehte. „Den mögen unsere Bewohner nicht mehr missen“, sagt Kiehl.
Die vergangenen Jahre waren auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr anstrengend, betont der Leiter der Seniorenresidenz, Driton Mehmeti, und lobt die hohe Motivation seines Teams. 65 Mitarbeiter sind in wechselnden Schichten und in den unterschiedlichen Abteilungen wie Pflege, Hauswirtschaft und Betreuung für die 85 Bewohner zuständig.
Zu den zusätzlichen Aufgaben gehörte während der Pandemie die tägliche Testpflicht genauso wie das Bereitstellen einer Teststation für Angehörige. In den Anfangsmonaten sei die Einrichtung von Bundeswehrsoldaten und dem DRK unterstützt worden. Das sei gut gelaufen. Später musste die Einrichtung Fachpersonal dafür abstellen, das eigentlich dringend für die Arbeit auf den Stationen gebraucht wurde.
Aber der Aufwand zum Schutz der Bewohner habe sich gelohnt: „Bis März 2022 blieben wir von Corona verschont“, sagt Mehmeti. Auch die Impfaktionen in der Einrichtung verliefen reibungslos: „106 Dosen am ersten Tag der ersten Impfaktion“, erinnert er sich. Dann erwischte das Virus das Heim doch noch nach der letzten Impfung: Im vorigen Frühjahr erkrankten etliche Bewohner, und auch viele Mitarbeiter meldeten sich krank. „Ich hatte jeden Morgen vor dem Dienst Angst davor, wer wohl heute positiv getestet würde und in Quarantäne muss“, erinnert sich Kiehl und sagt: „Damals haben wir uns sehr allein gelassen gefühlt.“ Neben der Pflege der Bewohner mussten sie verängstigte Angehörige beruhigen.
Die Arbeit mit infizierten Bewohnern in Hygiene-Schutzanzügen, sei sehr anstrengend gewesen. Zum Glück verliefen die Corona-Infektionen im vorigen Frühjahr insgesamt mild. Möglicherweise, weil fast alle Bewohner geimpft waren, vermutet Mehmeti.
Inge Meininger gehört zu den Bewohnern, die gut durch die Corona-Zeit gekommen sind. Sie hat es sich in ihrem Zimmer gemütlich eingerichtet: Sessel, Teppich und ein kleiner Beistelltisch samt Wohnzimmerlampe hat sie von zu Hause mitgebracht. Dort fühle sie sich wohl, wenn ihr der Betrieb im Heim mal auf die Nerven gehe. Während der Corona-Pandemie habe sie sich abgelenkt: „Ich habe viel gelesen und Fernsehen geguckt.“ Vor allem Nachrichtensendungen und Fußball. Ein Eintracht-Schal über ihrer Tür verrät, welchem Bundesliga-Verein ihre Liebe gehört. „Bis vor einigen Jahren bin ich mit meinem Schwiegersohn noch zu wichtigen Spielen ins Stadion gefahren“, erinnert sie sich. Vor kurzem hat eine Enkelin ihr Autogramme von allen Spielern mitgebracht. Die hütet sie wie einen Schatz.
Kritikpunkte habe sie keine – bis auf das Mittagessen. „Frühstück und Abendbrot sind sehr gut, aber dem Mittagessen fehlt einfach die Würze“, sagt sie. Beim Nachtisch hat sie sich bereits durchgesetzt: „Der kam früher in so einer Art Hundeschale aus Plastik auf den Tisch.“ Auf ihren Wunsch hin wird er inzwischen in Porzellanschalen serviert. „Das sieht viel appetitlicher aus!“, sagt sie. Dennoch genießt sie die gemeinsamen Mahlzeiten: „Die anderen Bewohner und ich sitzen nach dem Essen oft noch lange zusammen und erzählen“, sagt sie. Inge Meininger gehört zu den Bewohnern, die noch selbstständig sind und lebt deshalb in einer Wohngruppe im Erdgeschoss mit anderen Bewohnern, die ebenfalls noch recht aktiv sind.
Sie freut sich darauf, dass in den wärmeren Monaten auch wieder Ausflüge geplant sind. „Dafür haben wir vor Corona einen Transporter bekommen“, sagt Kiehl, „der kann jetzt endlich richtig genutzt werden.“
Auch von der geplanten Erhöhung der Kosten für ihren Aufenthalt in der Einrichtung hat Inge Meininger bereits erfahren und ist bereit, sie zu akzeptieren. Fast 30 Prozent beträgt die Erhöhung des Eigenanteils für die einzelnen Bewohner. Auslöser sei die Pflegereform des Landes Hessen und die damit einhergehenden höheren Löhne, sagt Leiter Mehmeti. Demnach müssen alle Mitarbeiter nach Tarif oder in Anlehnung an einen entsprechenden Tarifvertrag entlohnt werden. Das sei bisher nicht bei allen Mitarbeitern der Fall, so Mehmeti. In der Seniorenresidenz treten die neuen Regelungen am 1. April in Kraft. bpa
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