Immerhin sei Kraus schon länger bei Eppstein Foils als er mit seiner Frau verheiratet sei, fügte der ehemalige Geschäftsführer Dirk Mälzer hinzu. Er war eigens zu dem seltenen Arbeitsjubiläum gekommen, um mit seinem Nachfolger Marco Holst die Ehrung im Rahmen des Firmen-Sommerfests am vergangenen Donnerstag vorzunehmen.
Tatsächlich ist Kraus seit 38 Jahren verheiratet und erhielt wenige Jahre nach der Hochzeit das Angebot für ein Firmendarlehen. Damit kauften sich die beiden eine Firmenwohnung. Als diese Wohnung für die Familie zu klein wurde, Sohn und Tochter ein eigenes Zimmer bekommen sollten, war sie Grundstock für den Kauf einer größeren Eigentumswohnung in Vockenhausen.
Als Matthias Kraus am 1. August 1975 mit gerade mal 15 Jahren seine Lehre antrat, hieß das Unternehmen noch „Stanniolfabrik“ und hatte bereits eine 123-jährige Geschichte. Matthias Kraus, der 1962 mit seinen Eltern von Wiesbaden nach Eppstein gezogen war, wollte Drucker werden und arbeitete in der Stanniolfabrik an der damals hochmodernen Foliendruckmaschine im sogenannten Flexodruck. „Die Technik im Fünffarbdruck war so modern, dass ich kein Gesellenstück im traditionellen Sinn für meine Ausbildung machen konnte“, erinnert sich Kraus. So absolvierte er zwar die schulische Gesellenprüfung, erhielt aber keinen Gesellenbrief als Abschluss.
Gekümmert hat ihn das wenig, denn die Maschinen der Stanniolfabrik seien so speziell, dass ohnehin jeder neue Mitarbeiter darauf eingearbeitet werden müsse, sagt Kraus. Auch er habe später sein Wissen vielen neuen Mitarbeitern weitergegeben.
Im Flexodruck wurden Folien bedruckt. Bei den Alu-Manschetten für Bierflaschen war die Stanniolfabrik eine der führenden Firmen und weltweit auf dem Markt. Im Jahr 2000 kam es zur großen Umstrukturierung. Die gesamte Drucksparte wurde aufgegeben, „weil wir zu teuer und nicht mehr marktfähig waren“, erinnert sich Dirk Mälzer. Knapp 40 Mitarbeiter wurden damals entlassen – „sozial verträglich und mit Unterstützung bei der Arbeitssuche“, betonte der damalige Firmenchef. Tatsächlich hatten fast alle Gekündigten schon drei Monate später einen neuen Job.
„Darüber waren wir anderen, die geblieben sind, sehr froh“, erinnert sich Kraus, der zu den Mitarbeitern gehörte, denen ein neuer Job an einer der Walzen angeboten wurde, dem zweiten Produktionsfeld der Stanniolfabrik. So habe er die zweiten 25 Jahre seines Arbeitslebens in der Folienproduktion verbracht. Zunächst an verschiedenen Walzen, aber schon bald als Nachfolger an der Entfettungsmaschine, bei den Mitarbeitern flapsig „Waschmaschine“ genannt, mit der die Folien nach dem Walzen, Verkleben und Zuschneiden gereinigt werden.
Auch bei Modernisierung und technischen Umbauten sei das Wissen der erfahrenen Arbeiter immer gefragt, sagt Kraus. Langweilig sei der Job nie gewesen. Er erinnere sich noch gut an den Neubau seiner Reinigungsmaschine, die komplett von der Firma in Eigenbau neu konzipiert wurde oder an die Erneuerung der Steuerungselemente Anfang des Jahres. Bei solchen Projekten sei das Wissen und die Detailkenntnis der Mitarbeiter von den Materialeigenschaften „ein echter Schatz“, betont Holst. So gesehen sei die Firma im Umbruch. In den kommenden Jahren gehen über 40 Prozent der langjährigen Belegschaft in Rente. Deren Wissen soll weitergegeben und erhalten werden. So hat Krauses Kollege Michael Gulde, der in diesem Sommer nach 48 Betriebsjahren in Rente geht, schon zugesagt, als Minijobber zu bleiben. Gulde war Abteilungsleiter für Wartung und Instandhaltung der Anlagen und wird von allen schlicht „das Orakel“ genannt, weil er angeblich jede Schraube findet, an der gedreht werden muss.
„Die Firma hat sich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder neu aufgestellt, neue Firmen und damit neue Produkte sowie neue Verfahren kamen hinzu“, sagt Holst. Auch die Inhaber wechselten. Während seiner rund 30 Jahre als Geschäftsführer erlebte Holsts Vorgänger Dirk Mälzer die Umfirmierung 2008 von der Stanniolfabrik zu Eppstein Foils samt Gesellschafterwechsel und 2020 die Übernahme durch die Schweizer Industrieholding Artum, die wiederum 2021 mit der Storskogen Group in Stockholm verschmolz.
Gleich geblieben sei das Material, mit dem gearbeitet werde: Wiederaufbereitetes Blei, Zinn und Kupfer. Längst werde bei der Verarbeitung des gewässerschädlichen Bleis auf höchste Umweltstandards geachtet, die auch zertifiziert seien, betonen der alte und der neue Geschäftsführer.
Sinnbildlich für Innovation und Wandel stehen für Mälzer ein altes Patent für die Herstellung von Lametta von 1903, also noch aus Kaiser Wilhelms Zeiten, und die rund 100 Jahre später hinzugekommene spezielle Verpackungsfolie, aus der nahezu 100 Prozent dichte Verbundplättchen für Metallschraubverschlüsse von Weinflaschen hergestellt werden, damit diese jahrelang gelagert werden können. „So sind wir als Firma bei aller Tradition immer jung geblieben“, sind sich der alte und der neue Geschäftsführer einig.
Für Kraus war die Umstellung auf die Vier-Tage-Woche bei 35 Arbeitsstunden pro Woche vor rund 20 Jahren eine enorme Arbeitserleichterung. Auch darin sei Eppstein Foils vorbildhaft, findet er. Den dadurch gewonnenen freien Freitag verbringt er seitdem meistens mit seinem Zwillingsbruder Mario mit ausgedehnten Radtouren. Die beiden sind begeisterte Radfahrer. Und da Ehefrau Beate noch drei Jahre länger arbeitet als ihr Mann, werde sich daran so schnell nichts ändern.
Denn Radfahren ist sein größtes Hobby. Fünf Fahrräder hat er, drei Mountain-Bikes, ein Rennrad aus Carbon und ein Cross-Country-E-Bike werden regelmäßig bewegt. Beim Eppstein-Trail durch den Eppsteiner Wald, ein Rennen, das die TSG Eppstein einige Jahre lang organisierte, fuhren die beiden regelmäßig mit und auch als Amateure beim Rennen am1. Mai, damals noch um den Henningerturm.
Auch die knapp zwei Kilometer Arbeitsweg legt Kraus bei Wind und Wetter nahezu täglich mit dem Rad zurück – wie etliche seiner Kollegen. Denn Eppstein Foils zahlt jedem, der mit dem Rad zur Arbeit kommt einen Zuschuss von 10 Euro. Da etwa 75 Prozent der Belegschaft in Eppstein wohnt, habe man allerdings einen Mindestweg von 500 Metern festgesetzt, sagt Holst.
Die Zeit mit den Enkeln will Kraus künftig noch mehr genießen. Schon jetzt hole er die beiden oft von der Grundschule ab, wenn ihre Mutter arbeiten muss. „Die Familie unserer Tochter wohnt auch in Eppstein, ganz in unserer Nähe“, freut er sich. Am 24. Juli ist sein letzter offizieller Arbeitstag, Rentenbeginn am 1. August. Der Urlaub sei schon gebucht. Was danach folgt, könne er sich noch nicht so genau vorstellen. Denn die Arbeit gehört eigentlich zu seinem Leben. „Da bin ich noch von der alten Schule“, sagt er schlicht.bpa
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