Sie erzählte, wie sich eine junge Klavierstudentin aus Frankfurt in der Talkirche für das Orgelspiel im Gottesdienst anmeldete – und ihr wenig später den Vorschlag machte: „Können Sie sich ein Musikfest hier in der Kirche vorstellen?“
Anna Victoria Tyshayeva, die Initiatorin des Eppsteiner Klavierfests, ist noch immer hingerissen von der Akustik der Talkirche. Und zum 15. Klavierfest bekam Eppstein nun auch noch ein neues Klavier – das verleiht der Musik förmlich Flügel. Die amerikanisch-chinesisch-europäische Klavierbau-Firma Kayserburg spendierte einen großen Konzertflügel. Sein Klang ist leuchtend klar, laut und deutlich, groß und farbig. Tyshayeva spricht entzückt von „Tönen, die förmlich tanzen“.
In ihrem ersten Konzert auf dem neuen Instrument führte sie ihre Zuhörer jetzt in die Welt der Romantik. Bei Franz Schuberts vollendeten vier Impromptus noch etwas zögerlich, stockend, dann aber beherzt und ausgelassen bei Robert Schumanns „Faschingsschwank aus Wien“. Man schunkelt vom sanften Walzer zum krachenden Marsch und zur Marseillaise, dem französischen Revolutionslied, das zur Nationalhymne wurde – und das im Wien der Metternich-Restauration verboten war. Als Düsseldorfer dürfte Schumann wohl gewusst haben, dass die Narren an Karneval der Obrigkeit eine lange Nase drehen und sich alles erlauben dürfen…
Doch eine rheinische Frohnatur war Schumann zeitlebens nicht, bis zu seinem Freitod. Trotz des bis zur Tollheit überschäumenden, rasenden Finales im Faschingsschwank klingt eine stete Traurigkeit durch das grelle Treiben. Oder: Wenn bei Schumann die rechte Hand eine selig wehmütige Melodie hinzaubert, klopft in der linken Hand bereits sacht der Wahnsinn an. Anna Victoria Tyshayeva spielt das überzeugend und anschließend drei Evergreens von Frederic Chopin mit großem, schönem Ton. Bravo!
In ihrem zweiten Konzert in diesem Jahr am Sonntag mit dem Franck-Trio (Michel Gershwin/Violine sowie Dmitrij Gornowskij/Cello) wird sie das Klavier-Trio Nr. 1 von Schumann und das zweite von Dimitrij Schostakowitsch zu Gehör bringen. Vor allem der große Russe liegt ihr am Herzen. Hat Schostakowitsch doch in seinem oft sperrigen, beißend sarkastischen und markerschütternd lauten Werk zeitlebens verzweifelt gegen den Krieg, gegen Unterdrückung und Unmenschlichkeit komponiert. Erst erlebte er im damaligen Leningrad den deutschen Vernichtungsangriff auf die Sowjetunion unter Hitler; dann litt er an der mörderischen Unterdrückung und Verfolgung im Stalin-Regime der UdSSR.
Was Schostakowitsch wohl komponieren würde in unserer Zeit, da Tyshayevas Heimatland, die Ukraine, sich verzweifelt gegen den Krieg Russlands wehrt? Seine Musik ist jedenfalls leider – aber auch zum Glück – so aktuell wie zu seinen Lebzeiten.
Der zweite Teil des Klavierfests beginnt bereits am Mittwoch mit Musik von Beethoven und Chopin: Joanna Trzeciak spielt. Am Donnerstag gastiert der aus China stammende und international gefeierte Haiou Zhang mit Johann Sebastian Bachs „Chromatische Fantasie“, Franz Liszts „Legende Nr. 1 (Die Vogelpredigt des Heiligen Franziskus von Assisi)“ bis zu Maurice Ravels „la Valse“, das jeden Flügel an seine Grenzen bringt.
Pierre-Laurent Boucharlat gibt am Freitag den letzten reinen Klavierabend mit drei großen Sonaten von Ludwig van Beethoven, ehe das Calliope-Duo mit Artashes und Sarah Stamboltsyan (Violine und Klavier) am Samstag Musik von Bach bis Richard Wagner und Johannes Brahms darbietet.
Alle Konzerte beginnen um 18 Uhr. Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten. Denn der liebe Gott hat Anna Victoria Tyshayeva und Pfarrerin Heike Schuffenhauer zwar zusammengeführt, aber nicht gesponsert. Wenn dieses liebenswerte kleine Musikfestival in Eppstein fortbestehen soll, sind Hörer und Fans aufgefordert, ihren Teil dazu beizutragen.rp
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